Sell in May and go away?

Auf ihrer Mai-Sitzung beschloss die US-Notenbank einstimmig, ihre Zinspolitik unverändert zu belassen. Beweggrund ist auch die bislang ausbleibende Wachstumsoffensive der Trump-Administration: Je weniger Trump liefert, desto expansiver kann die US-Geldpolitik auch zur Unterstützung der Börsen bleiben. Nach der vermutlich Europa-freundlich ausfallenden Stichwahl in Frankreich hat das Superwahljahr 2017 viel an Schrecken für die europäischen Finanzmärkte verloren. Auf der Aktienseite läuft Europa Amerika aktuell sogar den Rang ab. Haben vor diesem Hintergrund Saisonalitätsrisiken, konkret die vielleicht bekannteste Anlegerweisheit „Sell in May and go away“ Substanz oder ist sie nur ein Börsenkalauer?

Trumpsche Wirtschaftsbelebung ist wie das Warten auf Godot

Selbst unter Trump scheint eine jahresanfänglich schwach startende US-Wirtschaft der Regelfall zu bleiben. Doch auch die Vorzeichen für die typischen Nachholeffekte im II. Quartal haben sich zuletzt eingetrübt. Zwar liegen die ISM Indices für das Verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor in Expansion anzeigendem Terrain, doch im April hat insbesondere die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe mit 54,8 nach zuvor 57,2 spürbar an Dynamik verloren.

Damit ist auch das bislang robuste Gewinnwachstum der US-Unternehmen mit Abwärtsrisiken behaftet. Historisch betrachtet ziehen Eintrübungen der Neuauftragslage in der Industrie mit einer zeitlichen Verzögerung auch eine verhaltenere Entwicklung der US-Unternehmensgewinne nach sich, was in letzter Konsequenz auch die bislang solide Investitionsneigung eintrüben kann.

Selbst der US-Konsum als tragende Konjunktursäule – er ist für zwei Drittel der US-Wirtschaftskraft verantwortlich – zeigt Ermüdungserscheinungen. Offenbar schlägt sich hier der aktuell weniger opulente Beschäftigungsaufbau nieder, der ohnehin in puncto Qualität bzw. Einkommensstärke zu wünschen übrig lässt.

Geht den US-Aktienmärkten die fundamentale Puste aus?

Lange Zeit haben die Vorschusslorbeeren auf die kommenden Trumponomics ihre Wirkung auf US-Aktien nicht verfehlt: Der Zusammenhang zwischen dem sprunghaft steigenden ökonomischen Überraschungs-Index für die USA seit der Wahl Donald Trumps im Herbst 2016 – von der Citigroup veröffentlicht, misst er positive bzw. negative Abweichung der tatsächlich berichteten Konjunkturdaten von den zuvor getroffenen Analysteneinschätzungen – und steigenden Aktienkursen ist eindeutig. Allerdings zeigt dieser Gleichlauf seit Anfang April einen gravierenden Strukturbruch. Während der Überraschungs-Index massiv vom positiven in das negative Terrain eingebrochen ist, verharrt das amerikanische Aktienniveau auf nahezu Allzeithoch. Steht damit eine deutliche Konsolidierung am US-Aktienmarkt kurz bevor?

Bei näherer Betrachtung spricht wenig dafür. Denn die Volatilität des US-Aktienindex S&P 500 als Gradmesser der Unsicherheit ist auf ein Mehrjahrestief gefallen. Zudem ist das Volumen an Krediten zum Kauf von Wertpapieren an der New York Stock Exchange auf ein neues Allzeithoch gestiegen.

Die Zinspolitik der Fed ist langweilig und eingepreist

Für Aktienmärkte entspannend wirkt auch die Fed. Sie schürt keine wirkliche geldpolitische Restriktion. Nachdem sie zuletzt ihren US-Leitzins unverändert belassen hat, hält sie sich auch mit konkreten Hinweisen über den genauen Zeitpunkt zukünftiger Zinserhöhungen oder gar der Abschmelzung ihrer Billionen schweren Notenbankbilanz zurück. Mit Blick auf die aktuelle US-Konjunkturschwäche im I. Quartal – dem schwächsten Wachstum seit drei Jahren – und der wirtschaftspolitischen Ladehemmung der Trump-Administration besteht in der Tat kein Grund zur zinspolitischen Eile.

Die Fed wird zunächst abwarten, ob die US-Konjunktur die jahresanfängliche Delle im II. Quartal wie in den Vorjahren ausgleichen kann. Eine Zinserhöhung auf der nächsten Notenbanksitzung am 14. Juni 2017 ist zwar möglich, zumal dann auch wieder eine Pressekonferenz zur näheren Erläuterung des Zinserhöhungsschrittes stattfindet. Allerdings hat die Fed auch die bislang ausbleibende Wachstumsoffensive der Trump-Administration fest im Blick. Je weniger sich die Trumponomics offenbaren, desto expansiver kann die Fed bleiben.

Doch selbst wenn sich die Fed zu zwei weiteren Zinserhöhungen in diesem Jahr entschließen sollte, sind diese eingepreist und keine Überraschungen mehr.

Europa entkommt der (wirtschafts-)politischen Grauzone

Der US-Handelsprotektionismus hat zuletzt an Drohpotenzial für die Weltwirtschaft verloren. Er stößt im Kongress, der negative Rückwirkungen auf die US-Handelsbilanz befürchtet, auf Widerstand. Überhaupt zeugt Trumps Bekenntnis zum Freihandelsabkommen NAFTA mit Mexiko und Kanada sowie eine ausbleibende Grenzsteuer für positive handelspolitische Signalwirkung auch auf die exportsensitiven europäischen Volkswirtschaften. In der Eurozone stabilisiert sich die Konjunkturstimmung laut ifo Institut weiter: Setzt man die Einschätzung der Geschäftslage und -erwartungen für das II. Quartal 2017 zueinander in Beziehung, befindet sich die Euro-Wirtschaft vor allem angesichts aufgehellter Erwartungen sogar in der konjunkturellen Zyklusphase „Boom“.

Im Übrigen ebben die politischen Risiken des Superwahljahres 2017 für die europäischen Finanzmärkte ab. Mit dem erwarteten Wahlsieg des Euro-freundlichen Emmanuel Macrons bei der französischen Präsidentenstichwahl hat sich die Eurosklerose kurzfristig zurückgebildet. Ein steigender Euro und nachgebender Goldpreis unterstreichen diese Einschätzung.

Längerfristig ist die Eurozone wegen Reformfaulheit bescheidener Wirtschaftsperspektiven aber längst noch nicht krisenbefreit. Es bleibt abzuwarten, ob der „Macronismus“ auch bei der Parlamentswahl in Frankreich im Juni sticht. Ob es aber zur absoluten Mehrheit reicht, ist fraglich. Dann wäre Macron gezwungen, im Rahmen einer „Cohabitation“ mit konservativen und liberalen Sozialisten zusammenzuarbeiten, die einer klaren Reformpolitik zum Wohle der französischen Wirtschaft aber Sand in das Getriebe streuen werden. Wenn Macron bis zur nächsten Präsidentschaftswahl 2022 nicht geliefert haben sollte, droht Le Pen schließlich doch noch.

Marktstimmung – “Sell in May and go away“ ist nur eine Kräuterhexenwissenschaft

Tatsächlich kam diesem saisonalen Börsensprichwort früher eine große Bedeutung zu, da zu Jahresbeginn erwirtschaftete Gewinne vor den typischerweise Ereignis armen Sommermonaten deutlich eingestrichen wurden, um sich im Herbst neu zu positionieren.

Insgesamt fehlen aber heutzutage die „technischen“ Zutaten für den berühmt-berüchtigten Mai-Effekt im Sinne nachhaltiger Aktienkurseinbrüche. Aufgrund der global vernetzten Finanzmärkte mit stetigem Informationsfluss über das ganze Jahr hinweg hat die frühere „Saure Gurken-Zeit“ kaum mehr Bedeutung. So zwingen die latenten politischen Risiken – z.B. die Wahlen in Frankreich, Brexit-Verhandlungen, Trump – Finanzmarktakteure zu einer stetigen Beobachtung, Einschätzung und Anlageaktivität. Hinzu kommt die Notwendigkeit großer Vermögensverwalter und Kapitalsammelstellen, im globalen Konkurrenzkampf Rendite erwirtschaften zu müssen. Betrachtet man die Mai-Rendite am deutschen Aktienmarkt (DAX) zwischen 2006 und 2016, präsentiert sich insgesamt ein ausgeglichenes Bild, das keine hinreichenden Rückschlüsse auf eine befürchtete, markante Mai-Saisonalität zulässt. Die tatsächlichen Aktienkonsolidierungen 2010, 2011 und 2012 sind den Euro-Finanz- und Stabilitätskrisen geschuldet, die zurzeit aber geldpolitisch konsequent verhindert werden.

Im Übrigen hat sich die Stimmung an den Börsen deutlich stabilisiert. Nur wenn es zu klar überschießenden Aktienmärkten kommen sollte, die den Dax auf 13.000 Punkte hievten, stehen gesunde Gewinnmitnahmen an, die in ihren Ausmaßen aber auch nicht gravierend sein würden.

Innerhalb der Aktienmärkte zeigt Europa gegenüber den USA eindeutig relative Stärke. Während Trumps Wirtschaftsoffensive stockt, ziehen sich in Europa politische und konjunkturelle Risiken zumindest vorerst zurück. Auch das Deflationsgespenst hat Europa verlassen. Gleichzeitig bleibt aber die Geldpolitik der EZB sehr freizügig. Und für Europa spricht nicht zuletzt ein stabiler Euro, der z.B. bei US-Anlegern keine Währungsverluste verursacht. Eine Trendfortsetzung ist grundsätzlich zu erwarten.

Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 – Warten auf neue Impulse

Beim DAX verlaufen erste Unterstützungen bei 12.532, knapp darunter bei 12.511 und schließlich bei 12.483 Punkten. Darauf folgt die nächste Auffanglinie bei 12.456. Wird diese unterschritten, müssen Kursverluste bis 12.391 und darunter bis zur nächsten Unterstützung bei 12.219 in Betracht gezogen werden. Kann der Index auf der Oberseite den Widerstand bei 12.618 Punkten durchbrechen, ist der Weg zu neuen Allzeithochs bis hin zur Marke von 12.832 Punkten frei.

Der Euro Stoxx 50 trifft bei 3.598 und 3.537 Punkten auf die nächsten wichtigen Unterstützungen. Werden diese unterschritten, treten weitere Haltelinien bei 3.492 und darunter bei 3.395 sowie 3.345 Punkten in den Vordergrund. Können auch diese nicht verteidigt werden, droht ein Kursrutsch bis zu 3.129. Wird hingegen auf der Oberseite der Widerstand bei 3.685 durchbrochen, liegen die nächsten Hürden bei 3.751 und schließlich bei 3.836 Punkten.

Der Wochenausblick für die KW 19 – Frankreichs neuer Präsident heißt Emmanuel Macron

In China verdeutlichen erneut rückläufige Im- und Exporte, dass die Konjunktur nicht auf festen Füßen steht.

In den USA signalisieren sowohl das von der University of Michigan veröffentlichte Konsumentenvertrauen als auch die Einzelhandelsumsätze einen stabilen Start in das II. Quartal. Der vom NFIB ermittelte Optimismus mittelständischer Unternehmen steigt allerdings nicht weiter.

In der Eurozone zeigt sich das vom Finanzdatenanbieter Sentix veröffentlichte Investorenvertrauen ordentlich. Der ungeteilte Fokus der Anleger gilt der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich am 7. Mai, bei der sich der Europa-freundliche und wirtschaftsliberale Macron gegen die Euro-kritische Kandidatin Le Pen durchsetzen dürfte.

In Deutschland unterstreichen solide BIP-Zahlen für das I. Quartal sowie erneut freundlichere März-Zahlen zu Auftragseingängen in der Industrie, Industrieproduktion sowie Export die fortschreitende Konjunkturstabilisierung.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG:http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.

Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de