Parallelen zwischen 2008 und heute zu ziehen, mag dramaturgisch reizvoll sein, ist aber übertrieben
In den Medien geht die Angst vor einer globalen Wirtschaftskrise wie 2008 um. Der Umbau der chinesischen Volkswirtschaft von Export, Immobilien und Industrie hin zu Konsum und Dienstleitung ist nicht ohne Reibungsverluste zu bewerkstelligen. China scheint „Lost in Transition“ zu sein. Leider schüttet die intransparente Kommunikation der KP selbst Öl ins Feuer der Verunsicherung: Das veröffentlichte Wirtschaftswachstum von 6,9 Prozent für 2015 hat mit der wirtschaftlichen Realität nicht viel gemein. Daher werden skeptische Fragen gestellt, ob die KP in China nicht auch noch an anderen Stellen Daten hemmungslos schönt.
Gleichzeitig trübt ein sich auf 12-Jahres-Tief befindender Ölpreis die Wirtschaftsstimmung in den Rohstoff- und Schwellenländern, die sich dramatischen Einnahmeeinbußen und damit fatalen Staatshaushaltssituationen ausgesetzt sehen. Über den schwachen Ölpreis ist aber auch Ungemach für die westliche Welt verbunden: Im Minen- und Ölsektor werden Konkurse und ein massiver Arbeitsplatzabbau befürchtet. Hinzu kommt eine angeschlagene US-Fracking-Industrie, die im Extremfall zu Kreditabschreibungen bei Banken, Ausfällen bei High Yield-Anleihen im Energiesektor und Finanzierungsengpässen auch – als Kollateralschaden – in anderen Zinsbereichen führen könnte. Riecht es wieder streng nach 2008?
Daher hat der IWF zwar zuletzt seine Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft 2016 von 3,6 auf 3,4 Prozent gesenkt. Damit wüchse sie aber immer noch stärker als 2015. IWF-Chefin Lagarde ist im Übrigen der Meinung, dass die aktuell am Aktienmarkt gespielten Ängste vor einem tatsächlichen Wirtschaftseinbruch in China übertrieben sind. In diesem Zusammenhang verweist sie auf die umfangreichen chinesischen Maßnahmen zur Konjunkturstimulierung.
Genau diese scharfe Konsolidierung des chinesischen Leitindex Shanghai Composite bereinigt die seit 2014 betriebene, unsägliche Aktien-Propaganda der KP, mit der die galoppierende Verschuldung der Unternehmen über Börseneinführungen nonchalant auf Privatanleger übertragen wurde. Der rapide Abbau der Wertpapierkredite hat diesen Prozess dynamisiert.
Die andere Seite der Rohstoffschwäche
Der Verfall der Rohstoffpreise muss etwas differenzierter betrachtet werden. Noch 2008 und 2011 wurden Ölpreise von über 140 bzw. über 120 Dollar pro Barrel als dramatische Gefahr für eine einbrechende Weltkonjunktur dargestellt, da der „Schmierstoff“ für Wirtschaftswachstum in den Industrieländern zu teuer wurde. Warum soll heute das umgekehrte Preisszenario – übrigens, teilweise die gleichen Ölexperten, die damals weiter steigende Ölpreise von über 200 für unausweichlich hielten, verkaufen heute Ölvisionen von 10 US-Dollar pro Barrel – so fatal für die Weltwirtschaft sein, nur weil die Rohstoffländern unter Kaufkraftverlust leiden? Hätte ihr dramatischer Kaufkraftgewinn damals in umgekehrter Lesart nicht das globale Wachstum massiv anschieben müssen? Warum sollten sie dann heute die Weltwirtschaft ins Verderben stürzen? Ohnehin kommen in der Diskussion die positiven Aspekte der Rohstoffschwäche zu kurz. Denn billige Vorprodukte erhöhen die Gewinnmargen der Unternehmen und die Kaufkraft der Konsumenten in den Industrieländern gewaltig. Sie kommen wie 2008 in den allmählichen Genuss eines Sonderkonjunkturprogramms, das ähnlich wirkt wie Steuersenkungen. Negativen Ausstrahleffekten der Schwellenländer wird damit massiv entgegengewirkt. An dieser Stelle sei erwähnt, dass auch China eine große Industrienation ist.
Die Rohstoffpreisschwäche und der Übergang der Emerging Markets zu nachhaltiger wachsenden, weniger dynamischen Volkswirtschaften resultiert ebenso in einer Bedeutungsverschiebung von Ländern und Regionen. Diese „Neue Sachlichkeit“ und die größere konjunkturelle Sicherheit der westlichen Industrienationen werden auch zu einem Attraktivitätsgewinn der „old economy“ bei Finanzanlegern führen. Die weltkonjunkturelle Zweiteilung kommt bereits in der Entwicklung des globalen Gewinnwachstums zum Ausdruck. Während sich die Gewinnentwicklung in Brasilien und Russland im Zuge der Rohstoffbaisse eingetrübt hat, zeigen sich Industrieländer wie USA, insbesondere aber Deutschland und die Eurozone im Vergleich robust. Auch China wird von dieser Entwicklung profitieren können.
Der Iran als Sorgenpause für die deutsche Industrie
Nachdem der Iran die Auflagen zur Beendigung seines Atomprogramms erfüllt hat, wurden die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran aufgehoben. Das Land hat jetzt nicht nur wieder Zugang zu den Ölmärkten, sondern ist auch wieder offen für ausländisches Investitionskapital. Bereits vor den Sanktionen war das Land ein fast schon sprichwörtliches El Dorado für die deutsche Industrie. Grundsätzlich bietet die veraltete, teilweise verfallene Infrastruktur des Iran nach fast zwei Jahrzehnten Sanktionspolitik vielfältige Investitionspotenziale, insbesondere auch für mittelständische deutsche Unternehmen. Der Iran ist damit sogar eine Alternativbefriedigung zur mit Sanktionen belegten russischen Wirtschaft.
Allein der Investitionsstau in der iranischen Öl- und Gasindustrie, bei Turbinen, Kraftwerken und Technologien zur Ölexploration, wird auf weit über 100 Milliarden US-Dollar geschätzt. „Made in Germany“ hat aber genauso Chancen in den Bereichen Maschinen- und Fahrzeugbau, Automobile, Nahrungsmittel und Pharma. Deutsche Wirtschaftsverbände halten mittelfristig eine Vervierfachung des Exportvolumens von heute knapp 2,5 Milliarden auf über 10 Milliarden Euro für möglich.
Die Finanzierung der Investitionen wird vor allem durch die Rückkehr an die Ölmärkte ermöglicht. Trotz der niedrigen Ölpreise kann der Iran allein über die geplante Ausweitung der Ölexporte bis Ende 2016 seine Einnahmen aus dem Ölgeschäft immerhin nahezu verfünffachen.
Die EZB ist mittlerweile auch als politischer Stimmungsaufheller unverzichtbar
Die fallenden Rohstoffpreise sorgen für anhaltenden Deflationsdruck in der Eurozone. Tatsächlich ist die Eurozone auch perspektivisch – unter Berücksichtigung der Inflationserwartungen – nicht auf dem Weg zu normalen Preisverhältnissen. Die Deflationsgefahr behält die EZB scharf im Blick, um nicht zu riskieren, dass Unternehmen mit der wenig attraktiven Aussicht auf schwache Verkaufspreise Investitionen zeitlich hinauszögern und Konsumenten beim Kauf vor allem langlebiger Güter zu lange auf den vermeintlich tiefsten Preis warten. Ansonsten wären japanische Verhältnisse die Folge.
Eine grundsätzlich freizügige Geldpolitik der EZB ist nicht zuletzt der integrative Klebstoff, um den (sozial-)politischen Fliehkräften in der Eurozone und EU – Stichwort Brexit – entgegenzuwirken. Damit sind noch großzügigere Kaufvolumina von Staats- und Unternehmensanleihen, im Extremfall auch von Bankkrediten ebenso möglich wie die abermalige Senkung des Einlagenzinssatzes für Banken im Sinne eines Strafzinses. Diese Offenheit hat Mario Draghi auf der letzten Sitzung der EZB mit dem Verweis auf gestiegene konjunkturelle Abwärtsrisiken mit Blick auf die Emerging Markets und angeschlagene Finanzmärkte bzw. rohstoffbedingt schwache Inflationsaussichten klar unterstrichen. Auf der nächsten EZB-Sitzung im März soll es eine neue bis 2018 reichende Einschätzung konjunktureller Daten geben, die dann durchaus geldpolitische Konsequenzen nach sich ziehen kann.
Allerdings muss man an der privatwirtschaftlichen Durchschlagskraft der Geldpolitik abseits einer günstigen Refinanzierung von staatlichen Konjunkturpaketen zweifeln. Dazu fehlt der fruchtbare Nährboden einer reformbereiten Wirtschaftspolitik, die ein investitionsfreundliches Klima für Unternehmen und damit Arbeitsplatzaufbau, Konsum und Steuereinnahmen bietet.
Die eigentliche Rolle von Mario Draghi ist es mittlerweile, den geldpolitischen „Ausputzer“ für alle politischen Fehler zu spielen. Breitbandantibiotikum ist wohl die treffende Beschreibung.
Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung – Wir sind überverkauft!
Die verhaltenere Wachstumsvision der Schwellenländer belastet laut ZEW die Konjunkturerwartungen für Deutschland. Aussagekräftiger sind in diesem Zusammenhang jedoch die ifo Geschäftsdaten im deutschen Verarbeitenden Gewerbe. Die hier befragten mittelständischen Unternehmensführer können die geschäftlichen Bedingungen naturgemäß treffender beurteilen. Vorab-Schätzungen zufolge halten sich die in der nächsten Woche erwarteten ifo Daten vergleichsweise stabil.
Voraussetzung dafür, dass der Blick auf die fundamentalen Chancen wieder frei wird, ist zunächst eine nachhaltige Stimmungsaufhellung am chinesischen Aktienmarkt. Das ist die ultimative Bringschuld der KP. Aber auch die Fed hat ihren Beitrag zu leisten. Der Finanzmisere der US-Ölindustrie wird sie mit zinspolitischer Ruhe entgegenwirken müssen. Was die Finanzwelt jetzt nicht braucht, ist ein Zusammenbruch des US-Energiesektors.
Werden diese Hausaufgaben gemacht, stabilisieren sich mit den Aktien- auch die realwirtschaftlichen Märkte, die wiederum die Aktienmärkte stützen.
Grundsätzlich ist der Aktienmarkt überverkauft und bietet Kaufgelegenheiten. Der zuletzt Anfang 2013 zu beobachtende vergleichsweise hohe Anteil der Pessimisten am US-Aktienmarkt, der deutlich über der unteren Begrenzung der ersten Standardabweichung liegt, unterstreicht diese Einschätzung.
Allerdings wird es auf dem Weg zu allmählich abklingenden Wachstumsängsten zu zwischenzeitlichen Unsicherheitsmomenten kommen.
Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 – Immer noch angeschlagen
Charttechnisch stößt der DAX auf der Unterseite auf die erste Auffanglinie am Vorjahrestief bei 9.325 Punkten, gefolgt von Unterstützungen bei 8.900 und am langfristigen Aufwärtstrend bei derzeit 8.676. Darunter geben Unterstützungen bei 8.500 und bei 8.100 Halt. Im Falle einer Gegenreaktion trifft der Index bei 9.614 und insbesondere bei 9.800 auf ersten Widerstand. Darüber warten weitere Hürden im Bereich zwischen 10.123 und 10.208 Punkten.
Durchbricht der Euro Stoxx 50 die Unterstützung bei 2.850 Punkten, müssen weitere Kursverluste in Richtung der Auffangzone um 2.550 einkalkuliert werden. Im Falle einer Erholung trifft der Index bei 2.970 und 3.027 auf erste Hürden. Darüber warten nennenswerte Widerstände am kurzfristigen Abwärtstrend bei aktuell 3.125 und bei 3.137 Punkten.
Der Wochenausblick für die KW 4 – Wie widerstandfähig ist die deutsche Wirtschaft?
In China dämpft eine sich im Dezember stabilisierte Gewinnentwicklung die Konjunktursorgen in der Industrie. Auch die Exportzahlen in Japan zeigen sich freundlicher.
In den USA verdeutlichen etwas schwächere BIP-Zahlen für das zurückliegende IV. Quartal 2015, der Einkaufsmanagerindex der Region Chicago unterhalb der Expansionsschwelle und schwache Auftragseingänge langlebiger Güter, dass sich die US-Wirtschaft nicht für Zinserhöhungen im Rahmen der nächsten Sitzung der Fed anbietet. Immerhin wirkt der US-Konsum laut Konsumentenvertrauen der Universität von Michigan stabilisierend.
In der Eurozone bestätigen erste Preisschätzungen für Januar die Deflationierungstendenzen. Im Fokus stehen die ifo Daten, die ein konkretes Bild der Stimmungslage in der deutschen Industrie geben. Der GfK Konsumklimaindex dürfte erneut Schwäche zeigen.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128
Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de