Wird aus Made in Germany immer mehr Owned by China?

Die Chinesen sind reich an Devisenreserven. Diese werden vor allem in Form von ausländischen Staatsanleihen gehalten, mehrheitlich aus den USA. Lange Jahre waren Staatspapiere ein gutes Renditegeschäft. Heute dagegen herrscht Renditearmut. Und diese ist China ein Dorn im Auge. Denn mit Blick auf die neue Wirtschaftssachlichkeit – die offizielle Wachstumsrate von 6,7 Prozent im I., II. und III. Quartal 2016 ist zu hoch und zu stetig, um wahr zu sein – braucht die KP in Peking dringend alle anderen verfügbaren Mittel zur Stützung der Konjunktur.

Nicht zuletzt gibt es bei in Staatspapieren gehaltenen Devisenreserven ein nicht zu verniedlichendes Systemrisiko. Will man angesichts der wie Unkraut wachsenden internationalen Staatsverschuldung wirklich für alle Zeiten einen Schuldenschnitt ausschließen? Auch die Chinesen wissen, dass die großen Schulden der Finanzgeschichte eins gemeinsam hatten: Sie wurden nie zurückgezahlt. Und heutzutage? Es müsste schon ein Finanzwunder passieren, dass die heutigen weltweiten Staatsschulden in einer Größenordnung von weit über 100 Billionen US-Dollar zurückgezahlt werden. Im Grunde genommen sitzen die Chinesen auf Tonnen von vielen bunten ausländischen Staatspapieren, deren Wert im Extremfall nur noch Brennwert ist.

China betreibt sachkapitalistische Anlagestrategien

Also soll renditeschwaches und riskantes Zinsvermögen in höherrentierliche Anlageklassen umgeschichtet werden. China will mehr Sachkapital wagen. Übrigens, mit dieser substanzstarken Anlagestrategie will man gleichzeitig die Herausforderungen der Digitalisierung der Weltwirtschaft, die sogenannte „Industrielle Revolution 4.0“, erfolgreich bestehen. Dazu bedarf es zukunftsträchtiger Schlüsseltechnologien, deren Selbstentwicklung für China zu aufwendig und zu lange dauern würde. Aber man kann das benötigte Industrie-Know How und damit die Innovationsfähigkeit doch auch zukaufen. So geht das Land zur Befriedigung seiner technologischen Anlagenotstände weltweit auf Shopping Tour. Und wo findet man die industriellen Objekte der chinesischen Begierde?

Nichts in der Industriewelt ist so sexy wie der deutsche Mittelstand

Man findet sie bei den deutschen Industrieperlen vor allem aus der zweiten Reihe, die mit ihrer Spitzentechnologie weltweit die Nase vorn haben. In angelsächsischen Kreisen spricht man nicht umsonst, fast schon wolllustig vom „German Mittelstand“. Hinter diesem Markennamen versammeln sich die meisten und wertvollsten Industriepatente weltweit. Und diese Reize sind auch den chinesischen Perlensuchern nicht verborgen geblieben.

Wie beim Büffet im China-Restaurant haben sie bereits kräftig zugeschlagen. So ist der Roboterbauer Kuka bereits fest in chinesischer Hand. Aber auch weitere deutsche Unternehmen haben mindestens chinesische Großaktionäre: Putzmeister, Kiekert, Schwing, Kion, Solibro, Sunways, Tailored Blanks, Koki Technik Transmission Systems, Hilite, Krauss-Maffei, EEW und Manz. Die Liste könnte man noch lange erweitern. Und das ist erst der Beginn einer großen chinesischen Einkaufsleidenschaft, die an Draghis Kaufrausch bei Anleihen erinnert. Die Chinesen wollen sich einen ganzen Harem an zukunftsträchtigen deutschen Technologieunternehmen zulegen. Allein 2016 haben chinesische Unternehmen Zukäufe im Rekordvolumen von 11,3 Mrd. Euro angekündigt.

China geht es um die Modernisierung seiner Volkswirtschaft, die aus den Kinderschuhen der klassischen (Schwer-)Industrie entwachsen soll und eine qualitative Metamorphose hin zu Dienstleistungen, Konsum und vor allem Technologie durchlaufen muss, um längerfristig hoch wettbewerbsfähige Global Player zu schaffen. Peking will raus aus der old und rein in die new economy.

Viele chinesische Staatskonzerne haben zudem viel zu viel Fett angesetzt, sind wettbewerbsschwach oder werden nur von Mutter Natur KP lebendig gehalten. Hier soll der „fitte“ deutsche Mittelstand China reif für die globale Wirtschafts-Olympiade machen. Nicht zuletzt kauft man sich mit dem deutschen Technologie-Doping international neue Kunden und Absatzmärkte ein.

Der Markenname Made in China soll Made in Germany ab 2025 ablösen

Ich bin grundsätzlich ein großer Anhänger von freiem Handel und gegen nationale protektionistische Maßnahmen. Aber dieses hohe Lied der Liberalität darf nicht von Deutschland allein gesungen werden, es muss ein internationaler Chor sein, bei dem auch chinesische Sänger kräftig mitschmettern. Leider hört man hier aber nur ein fast unhörbares Summen wie bei Honigbienen im Frühling.

Stimmgewaltig, ja unüberhörbar ist China allerdings, wenn es darum geht, Übernahmen eigener Unternehmen durch ausländische Firmen zu behindern, ja europäische und deutsche Konkurrenz vom Land der Mitte mit vielen Umleitungen möglichst fernzuhalten. China betreibt Protektionismus der asymmetrischen Art: Selbst darf man im Ausland alles, die anderen dürfen in China wenig.

Natürlich muss Deutschland die Globalisierungs-Karte spielen. Wir hängen an freien Märkten wie Fliegen am Fliegenfänger: Der Anteil der deutschen Exporte an der Wirtschaftsleistung hat sich seit Anfang der Neunzigerjahre mehr als verdoppelt und liegt jetzt bei knapp 50 Prozent. Für Deutschland steht viel auf dem Globalisierungs-Spiel: Scheitert die Globalisierung, scheitert auch viel von Deutschlands Wohlstand. Doch leider sind von den aktuell knapp 1.200 Handelsbeschränkungen weltweit ausgerechnet die deutschen Vorzeigebranchen Eisen, Stahl, Maschinenbau, Chemie, Elektrotechnik und Auto betroffen.

Gleiches Recht für alle! Keine Wirtschafts-Toleranz gegenüber chinesischer Freihandels-Intoleranz

Daher darf sich die deutsche Wirtschaftspolitik und die angeblich mächtigste Frau der Welt bei der Verteidigung deutscher Wirtschaftsinteressen und „Industrieleitkultur“ durchaus offensiv zeigen. Auch in anderen Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den USA ist der Schulterschluss von Politik und nationalen Wirtschaftsinteressen üblich. Wir sind doch nicht wie bei einem Fußballverein die Talentschmiede, die den Spieler beginnend mit der F-Jugend aufbaut und dann bei erfolgter sportlicher Reife an ausländische Clubs ohne Gegenleistung abgibt. Wir müssen auch die Möglichkeit der industriellen Gegenoffensive über z.B. Zukäufe in China haben.

Wenn China also Schwarz-Rot-Gold mit Gelb vermischen will, dann muss auch die gelbe Gefahr durch die Bundesfarben eingefärbt werden dürfen. Wir sind keine treudoofen Schafe, die zuschauen, wenn Unternehmen mit bedeutenden Schlüsseltechnologien – wie früher z.B. Hoechst oder Mannesmann – einseitig an ausländische Investoren verscherbelt werden, die anschließend ausgenommen werden wie eine Gans an Weihnachten. Erst recht ist es nicht unsere Aufgabe, den Chinesen bei der Anlagestrategie ihrer gewaltigen Devisenprobleme und dem zukunftsträchtigen Umbau ihrer Volkswirtschaft auf deutsche Kosten zu helfen.

Immerhin, das Bundeswirtschaftsministerium scheint jetzt Front gegen die einseitige chinesische Übernahmeserie zu machen. Man hat in puncto Übernahmeangebot des Chip-Anlagebauers Aixtron durch die chinesische Fujian Grand Chip Investment (FGC) wegen nicht näher bestimmten „Sicherheitsbedenken“ seine Unbedenklichkeitsbescheinigung widerrufen. Diese Aktion ist als Retourkutsche in Richtung China zu verstehen, seine Zugeknöpftheit zu beenden.

Viel besser wäre es allerdings, wenn man auf höherer, nämlich europäischer Ebene klare Regeln für Firmenbeteiligungen, Übernahmen und Marktzugangsrechte festlegt. Das macht mehr Eindruck. Wenn die anderen mit protektionistischen Waffen kommen, muss man zur Verteidigung wie Musketiere zusammenhalten.

Und deshalb ist der deutsche Vorschlag einer EU-weiten Regelung zu begrüßen, wonach ein Einstieg oder eine Übernahme eines (EU-)Unternehmens durch ein (EU-)ausländisches Unternehmen verboten oder mit schweren Auflagen belegt wird, wenn der Käufer mehr als 25 Prozent der Stimmrechte übernimmt und/oder ein ausländischer Staat direkten industriepolitischen Einfluss auf die Investitionen nimmt und/oder dieser Staat selbst  direkt oder indirekt als Käufer auftritt und/oder – wie im Falle Chinas – umgekehrt Investitionen im eigenen Land beschränkt sind. Sinnvoll ist auch die Definition von Branchen und Unternehmen, die für die EU industriepolitisch bzw. geostrategisch sensibel sind.
In der EU gibt es immer wieder ein gallisches Dorf, das schon aus Prinzip dagegen ist

Ob Europa diese gemeinsame Verteidigung des eigenen Hühnerstalls gelingt, ist allerdings ungewiss. Im Augenblick ist die EU noch nicht einmal fähig, ein Freihandelsabkommen mit Kanada – „Ceta“ genannt – wegen belgischem Polit-Geplänkel in den Regionen Wallonie und Brüssel abzuschließen. Und dabei vertritt das Land mit dem Ahornblatt in der Fahne sozial- und umweltpolitisch ähnliche Standards wie die EU. Belgiens Wirtschaftsleistung hängt übrigens zu 70 Prozent am Außenhandel. So viel zur Weisheit belgischer Provinzpolitiker.

Überhaupt, dieses Ceta-Abkomen hätte eine EU-verträgliche Handelsnorm festgeschrieben, an der sich auch das Freihandelsabkommen „TTIP“ mit den USA hätte orientieren müssen. Zum Wohle europäischer Interessen hätte Europa starke Argumente gehabt, für uns unverdauliche Regeln zu entfernen.

Im Extremfall hat Europa kein Handelsabkommen mit niemandem und muss sich die Frage gefallen lassen, ob es noch vertrags- wenn nicht sogar geschäftsfähig ist. So eine EU – obwohl der größte Wirtschaftsraum der Welt – ist ein kakophonischer Hühnerhaufen, der es ausländischen Eindringlingen leicht macht, die schwarz-rot-goldenen Industrie-Eier der Güteklasse A zu klauen.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

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Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de