Was tun, wenn die Unsicherheit an den Börsen steigt?

Jetzt beginnt die dunkle Jahreszeit. An der Börse ist sie wenig beliebt, weil September und Oktober in der Vergangenheit für große Verunsicherung gesorgt haben. Wie viel Unsicherheit steckt eigentlich im aktuellen Herbst?

Europa ist in der Realpolitik angekommen

Griechenland wird die Finanzmärkte nicht mehr annähernd so beschäftigen wie im 1. Halbjahr, obwohl am kommenden Sonntag griechische Parlamentswahlen stattfinden. Es ist gleichgültig, welche Regierung ins Amt kommt, ob Syriza oder die Bürgerlichen. Und es ist auch fast egal, ob die neue Regierung Reformen umsetzt oder nicht. Griechenland wird weiter finanziell von der EU wie auf einer Sänfte getragen. Der Grund ist sehr einfach: Einen neuen aufreibenden Griechenland-Konflikt hält Europa nicht mehr aus. Europa ist schon wegen seiner offensichtlichen Unfähigkeit, die Flüchtlingskrise gemeinsam mit Herz und Verstand zu meistern, angeschlagen genug. Ich habe EU-Politiker noch nie so schwimmen sehen wie derzeit. Dagegen war die mit stinkendfaulen Kompromissen erkaufte Lösung der Euro-Krise ein politisches Meisterstück. Aus der „EWG“, der Europäischen Wertegemeinschaft ist eine „EEG“, eine Europäische Egoistengemeinschaft geworden.

In diesem Szenario brächte ein nochmaliger Finanzpolit-Zirkus um Griechenland das Fass zum Überlaufen sowie EU und Eurozone an den Rand des politischen Ruins. Dann wären auch die ersten Bonitätsherabstufungen auch von Deutschland nur noch eine Frage der Zeit. Somit ist Griechenland im Besitz eines Blankoschecks: Debatten über Wirtschaftsreformen und ihre Umsetzung muss sich das Land nicht mehr antun. Diesen „Stabilitätsluxus“ kann sich Europa einfach nicht mehr leisten.

Diese Befreiung von der germanischen Stabilität geht aber weit über Griechenland hinaus. Für gewährte Solidarität in puncto Flüchtlingskrise wird als Gegenleistung die massive, im Extremfall sogar komplette Aufweichung von Haushaltsdisziplin verlangt und auch gewährt werden. Und natürlich wird die EZB die großzügige Gegenfinanzierung durch Anleiheaufkäufe von Staatsschulden übernehmen und noch massiv ausweiten. Die Stabilitätsunion wird endgültig keinen Puls mehr haben. Kanzler Helmut Schmidt hätte so etwas Realpolitik genannt. Was interessiert uns das Stabilitätsgerede von gestern? Immerhin geht der Kelch einer massiven Marktverunsicherung durch eine Euro-Krise 2.0 an uns vorbei, zumindest vorerst.

Viele geldpolitische Tauben machen längst noch keinen weltkonjunkturellen Sommer

Deutlich höheres Verunsicherungspotenzial haben ausgerechnet die Notenbanken, die doch eigentlich Beruhigungspillen in Familienpackungsgröße verteilen wollten. Doch sind die Finanzmärkte enttäuscht, dass das historisch wirksamste Konjunkturdopingmittel aller Zeiten, nämlich die Geldpolitik der Fed, trotz billigster Billigkeit und üppigster Üppigkeit nicht wie bislang üblich die gewünschte wirtschaftliche Leistungssteigerung bringt. Was soll man auch von diesem früher führenden „Welt-Finanzierer“ halten, der zwar die Liquiditätsausstattung Amerikas seit Beginn der Immobilienkrise Ende 2008 um ca. 400 Prozent hat explodieren lassen, jedoch die Welt-Wirtschaftsleistung um nur etwa 14 Prozent steigern konnte.

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Aus finanz- und realwirtschaftlicher Not muss selbst Chinas Notenbank ihre Stabilitätshüllen immer mehr fallen lassen. Die Frage ist berechtigt, ob sie nicht bald auch in ihrer prallen nackten Schönheit vor uns steht, um Volkes Zorn gegen Maos Nachfahren im Zaum zu halten. Denn bislang konnte noch kein nachhaltiger Erfolg in puncto Finanz- und Realwirtschaft beobachtet werden.

Ebenso lässt Mario Draghis Einfluss auf die europäischen Finanzwerte zu wünschen übrig. Noch im Frühjahr war er der Magier der Euro-Märkte wie Alan Greenspan in den USA zu seinen besten Zeiten. Doch diese gehorchen ihm nicht mehr uneingeschränkt. Im Gegenteil, die Kursschwankungen nehmen zu und drohen sogar, die bislang so fröhlichen Konsumentenseelen zu belasten.

Sollte es weltweit gar zu einer Phase dauerhafter Aktienschwankungen kommen, kann sich diese miese Stimmung selbst auf die Weltkonjunktur wie Mehltau niederlegen. Dieser geldpolitischen Kapitulation vor der Realwirtschaft wollen die Notenbanker aber nicht tatenlos zusehen. Von Draghi ist zu erwarten – verbalerotisch wurde es schon in Aussicht gestellt – dass es an Weihnachten 2015 ein weiteres großes dickes Liquiditätsgeschenk geben wird.

Die Geister, die man rief, wird man nicht mehr los: Mehr Kursschwankungen voraus

Leider heißt mehr konjunkturstützendes Geld aber nicht mehr finanzwirtschaftliche Beruhigung. Denn je mehr Geld im Umlauf ist, desto wilder vagabundiert dieses Geld rund um den Globus auf der verzweifelten Suche nach renditeträchtigen Investments. Das Geld, das heute hier ist, ist morgen schon da.

Was für ein Teufelskreis: Mehr Geld ist nötig, um die konjunkturelle Stimmung zu stützen, mehr Geld heißt aber auch mehr Schwankungsbreite an den Finanzmärkten, die wiederum die Konjunktur irritieren kann, die dann erneut mit noch mehr Geld stabilisiert werden muss…

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Sicher ist zunächst: Aus Renditesicht bleiben Zinsanlagen langfristig so attraktiv wie Bauchschmerzen. Und ob sie langfristig überhaupt noch sicher sind, kann man aufgrund der weltweiten Überschuldung zumindest diskutieren.

Wie geht man mit Volatilität um?

Bleibt die Frage nach dem Umgang mit der Volatilität an den Aktienmärkten: Hier gibt es zwei Lösungen. Die steigenden Schwankungsbreiten machen finanztechnisch betrachtet zunächst Discount- und Bonusprodukte oder Aktienanleihen attraktiver. Ja, die Volatilität ist sozusagen ihr Lustgewinn. Mit ihnen lassen sich Teilabsicherungen gegen zwischenzeitliche Börsenverluste – einen Bärenmarkt erwarte ich nicht – mit immer günstigeren Rendite-Risiko-Strukturen darstellen.

Vor allem jedoch schreit das verstärkte Auf und Ab der Aktienmärkte förmlich nach Aktienansparplänen. Und das am besten auf Aktienindices, um das Einzelwertrisiko zu mildern und am besten regelmäßig, um das Risiko größerer einmaliger Anlagen zu umgehen.

Und dann gibt es noch den Durchschnittskosteneffekt. Bei monatlichem Ansparen bekommen sie bei steigenden Kursen zwar weniger Aktienanteile, dafür nehmen Sie aber die Kurssteigerungen mit. Entscheidend ist aber, was passiert, wenn die Kurse zwischendurch fallen. Dann bekommen Sie für ihren gleich bleibenden Ansparplan mehr Aktienanteile. Bei wieder steigenden Kursen macht sich das kaufmännische Motto „Im Einkauf liegt der Gewinn“ positiv bemerkbar: Wie bei einer Flut erhöht sich ihr gesamtes Aktienvermögen.

Man mag jetzt einwenden, dass Kursverluste bei zunehmendem Aktienvermögen in immer größerem Ausmaß negativ zu Buche schlagen. Ja. Daher sollten bei absehbarem Ende der Ansparzeit und hohen Aktienständen Kursgewinne durch Verkäufe immer mehr realisiert werden.

Aktienansparpläne sind ähnlich zu bewerten wie die regelmäßige Anlage in guten Wein. Am Ende der Auffüllphase geht man in den Weinkeller, fängt an, die Flaschen von unten zu ziehen und den Wein zu genießen.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei derBaader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de