Wie viel Aufschwung steckt in den soliden ifo Daten?
Das ifo Geschäftsklima hat im Oktober positiv überrascht. Es ist auf den höchsten Stand seit April 2014 gestiegen. Bezogen auf diese Stimmungsverbesserung sollte Deutschland vor einem robusten Aufschwung stehen. Immerhin werden bei der ifo Umfrage ca. 7.000 deutsche Unternehmen direkt befragt. Wenn sie die konjunkturelle Lage bzw. die Erwartungen nicht ordentlich einschätzen können, wer dann? Sind also die Risiken für die Weltkonjunktur wie z.B. Protektionismus, Brexit und das unwürdige EU-politische Geschachere um ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada wirklich zu vernachlässigen?
Laut ifo Institut steht Deutschland ein konjunkturell robustes Winterhalbjahr bevor. Neben einer stabilen Geschäftslage haben sich ebenso die Geschäftserwartungen der befragten Unternehmen mit 106,1 nach zuvor 104,5 auf ein Zweieinhalbjahreshoch verbessert. Setzt man die Lage und Erwartungen zueinander in Beziehung, hat sich die deutsche Wirtschaft in der konjunkturellen Zyklusphase „Boom“ weiter etabliert.
Auf Sektorenebene profitiert das Baugewerbe von den günstigen Kreditkonditionen. Insbesondere aber das exportsensitive Verarbeitende Gewerbe als deutsche Schlüsselindustrie zeigt sich deutlich zuversichtlicher. Hierbei sorgt vor allem ein sich in Umfragen abzeichnender Wahlsieg Hillary Clintons für Erleichterung. Damit bliebe der Exportnation Deutschland die im Trump’schen Wahlkampf propagierte, protektionistische Abschottung der USA mit Einschränkung des freien Welthandels erspart.
Für stabile Stimmung in der Exportindustrie sorgt sicherlich auch der seit Wochen zum US-Dollar schwächere Euro. Hierfür bilden die Gegenläufigkeit von Fed und EZB in puncto Zins- und Liquiditätspolitik den fundamentalen Hintergrund. Diese Einschätzung wird durch die Positionierung der Anleger am Devisen-Terminmarkt unterstrichen: Die spekulativen Netto-Long Positionen Euro zum US-Dollar zeigen sich seit Ende September klar abwärtsgerichtet.
Eine gute Konjunkturstimmung alleine macht noch keine guten Konjunkturdaten
Konjunkturelle Drohpotenziale scheinen zumindest bei der letzten ifo Umfrage keine große Rolle gespielt zu haben. Zunächst ist zu erkennen, dass das Konsumklima und die Anschaffungsneigung in Deutschland insgesamt betrachtet noch auf hohem Niveau verlaufen, jedoch keine neuen Spitzenwerte erreichen können. Offensichtlich macht sich die geopolitische Verunsicherung durchaus bemerkbar.
Auch ist unverkennbar, dass die Weltwirtschaft insgesamt lediglich verhalten wächst. Neben einer US-Wirtschaft, die trotz beispiellos freizügiger Geldpolitik schwach zulegt, sind auch die für die deutsche Exportwirtschaft bedeutenden Schwellenländer vergleichsweise wachstumsschwach. Offiziell wächst China zwar mit 6,7 Prozent. Inoffiziell, aber realistisch betrachtet, ist das Wachstum eher zwischen drei und vier anzusiedeln. Nicht zuletzt birgt der Brexit unabschätzbare Risiken für die europäische (Export-)Wirtschaft. In der Konsequenz hat das weltweite Handelsvolumen seinen Gipfel überschritten. Der Welthandel stagniert seit zwei Jahren.
Insgesamt ist das prognostizierte Wirtschaftswachstum in Deutschland stabil. Glänzen wird es aber nicht.
Handelsabkommen mit Kanada nur mit Hängen und Würgen möglich
Wachstumsimpulse bleiben insbesondere in Europa aus. Die wettbewerbsschwachen Standortfaktoren werden nicht angegangen, um die Wähler in der Eurozone vor dem Mega-Wahljahr 2017 bloß nicht mit Reformschmerzen noch mehr in den Euro-Skeptizismus zu treiben.
Schon der Abschluss eines im Vergleich zum EU-US-Handelsabkommen TTIP „unverdächtigen“ Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada – Ceta genannt – stellt beschränkt denkende Provinzpolitiker offenbar vor zu hohe Anforderungen an ihre Wirtschaftskompetenz. Und dabei hängt kaum ein europäisches Land so vom Welthandel ab wie Belgien. 70 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes kommen vom Außenhandel. Handelsabkommen zu blockieren entspricht dem Sägen am Ast, auf dem man sitzt.
Natürlich sind sieben Jahre im Verborgenen stattgefundene Verhandlungen über den Abbau von Zöllen und die Angleichung von Standards keine Lehrstunde für Transparenz. Doch dafür sind Auseinandersetzungen bei internationalen Abkommen auch nicht da. Ceta scheint losgelöst von seiner eigentlichen Bedeutung – nachdem das Handelsabkommen TTIP mit den USA vorläufig gescheitert und als Feindbild abhandengekommen ist – zum verschwörungstheoretischen Ersatzschauplatz geworden zu sein. Auch hier zeigt sich die Eurosklerose.
Es ist erfreulich, dass man sich nun doch in Belgien nach langem Hauen und Stechen auf die Zustimmung zu Ceta einigen konnte. EU-Politiker sollten sich vor Augen führen, dass Kanada mit Blick auf Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards ähnliche Werte wie die EU vertritt. Ceta ist also nicht TTIP. Im Übrigen ist sich auch Kanada in Handelsfragen nicht wirklich grün mit dem großen südlichen Nachbarn. Das Ahorn-Land will mit Ceta einen Handelsstandard setzen, der auch den USA die handelspolitische Richtung vorgibt. Insofern ist Kanada ein Verbündeter der EU. Zur Erinnerung: Hat man TTIP nicht insbesondere wegen für Europäer inakzeptable juristische, soziale und Umweltstandards die kalte Schulter gezeigt? Jetzt hat man mit Ceta vollendete Tatsache geschaffen, bei denen es den USA deutlich schwerer fallen wird, ihre für europäische Mägen unverdaulichen Handelsregeln aufzudrücken.
Bei Abschluss von Ceta wird die EU – wenn auch mit Blessuren – ihre vertragliche Handlungsfähigkeit zeigen. Zukünftig ist es aber in einer globalen Welt nicht mehr zumutbar, dass zukunftsträchtige Abkommen von Provinzpolitikern abhängig sind, die ihr eigenes nationales Süppchen kochen. Hier sollte das europäische Parlament das letzte Wort haben. Ansonsten ist diese Institution nur eine Ansammlung gut bezahlter Abgeordneter.
Die EU mit ihren Exportnationen wie Deutschland darf sich in Fragen des Welthandels niemals abschotten. Ansonsten legen Länder wie die USA oder China internationale Handelsregeln ohne unseren Einfluss fest. Dann heißt es für uns: Vogel friss oder stirb. Neben der geopolitischen wird die EU letztendlich auch weltwirtschaftlich an Bedeutung verlieren.
Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung – Fusionen und Übernahmen als neue Aktienlust
Für kurzfristige politische Beruhigung sorgt zwar, dass Spanien nach zehnmonatiger politischer Blockade wieder eine Regierung hat. Es handelt sich allerdings nur um eine von Sozialisten geduldete konservative Minderheitsregierung. Um erneute politische Irritationen zu vermeiden, wird die neue spanische Regierung insofern ihren eingeschlagenen Reformkurs nicht fortsetzen können.
Grundsätzlich schwelen die Sorgen vor einer verschärften Eurosklerose weiter. Mit Blick auf das am 4. Dezember bevorstehende Verfassungsreferendum in Italien drohen bei dessen Ablehnung – das Nein-Lager liegt Umfragen zufolge mit 37,8 zu 34,7 Prozent vorne – im nächsten Jahr gleich in vier Euro-Ländern Nationalwahlen mit potenziell Euro-kritischem Ausgang.
In puncto US-Berichtsaison konnten bislang zwar 77 Prozent der berichtenden Unternehmen im S&P 500 in puncto Gewinnausweis positiv überraschen, was allerdings angesichts im Vorfeld gesenkter Erwartungen keine wirkliche Kunst ist. Liest man zwischen den Zeilen, wird die angeschlagene weltkonjunkturelle Situation deutlich. So zeugt der von Apple berichtete Umsatzrückgang des iPhones um 13 Prozent im III. Quartal von einer Konsumzurückhaltung vor allem in China. Und der weltgrößte Baumaschinen-Hersteller Caterpillar rechnet damit, dass die schwierigen weltwirtschaftlichen Bedingungen bis ins nächste Jahr andauern. Caterpillar ist ein valider Frühindikator für die Weltwirtschaft. Denn bevor Fabriken und Anlageinvestitionen getätigt werden können, müssen die Grundstücke dafür aufbereitet werden.
In Deutschland hat die Deutsche Bank mit einem positiven Gewinn im III. Quartal für Balsam auf die Anlegerseele gesorgt. Zukünftig entscheiden wird jedoch sein, dass zügig Lösungen im Streit um Hypothekengeschäfte in den USA gefunden werden und konkrete Strafzahlungen vorliegen, damit das Bankhaus aus den negativen Schlagzeilen kommt. Dann kann man sich auch wieder schwerpunktmäßig um das operative Geschäft und die zukünftige geschäftspolitische Ausrichtung kümmern.
Immerhin sorgen wieder anziehende Übernahme- und Fusionsphantasien für Bewegung an den Börsen. Markantes Beispiel hierfür ist die geplante Übernahme des Medien-Konzerns Time Warner durch die US-Telefongesellschaft AT&T im Volumen von über 80 Mrd. US-Dollar. Damit folgt AT&T einem Branchentrend. US-Telekomkonzerne suchen nach Ertragsalternativen, nachdem die Erlöse im klassischen Kerngeschäft wettbewerbsbedingt unter Druck stehen. Die üppig vorhandenen Netze sollen mit exklusiven Inhalten veredelt werden.
Auch auf dem deutschen M&A-Markt dreht sich das Übernahme-Karussell. Laut einer Studie der Anwaltskanzlei Allen & Overy könnte 2016 in puncto Transaktionsvolumen sogar zum Rekordjahr werden.
Übernahmephantasien bleiben damit eine markante Stütze für die Aktienmärkte. Nicht zuletzt ermöglichen grundsätzlich stabile Aktienmärkte Übernahmen durch Bezahlung in eigenen Aktien, d.h. die Aktienhausse nährt die Übernahme-Hausse. Im Übrigen sind angesichts der günstigen Zinskonditionen auch Fremdfinanzierungen gut zu stemmen.
Charttechnik DAX und S&P 500 – Die Grundtendenz bleibt positiv
Charttechnisch liegt im DAX der nächste nennenswerte Widerstand bei 10.745 Punkten. Weitere Barrieren folgen bei 10.802 und 10.820. Eine Fortsetzung der Jahresend-Rallye würde bei 10.860 Punkten einsetzen und den Index bis zu einem Jahresendstand von 11.300 Punkten tragen. Dagegen trifft eine mögliche Korrektur zunächst an der Marke bei 10.679 auf eine erste Unterstützung. Darunter warten weitere Haltelinien bei 10.568 sowie 10.535 Punkten.
Im S&P 500 liegt der nächste Widerstand bei 2.185 Punkten. Wird dieser durchbrochen, trifft der Index bei 2.194 auf die nächste Barriere. Auf der Unterseite liegen die ersten Unterstützungen bei 2.135, 2.083 und schließlich bei 2.079 Punkten. Darunter eröffnet sich Abwärtspotenzial bis zur Haltelinie bei 1.972.
Der Wochenausblick für die KW 44 – Die Fed bleibt zahm
In Japan unterstreichen schwache Zahlen zur Industrieproduktion die marode Wirtschaftslage und erhöhen den Druck auf die Bank of Japan, weitere Maßnahmen zur Finanzierung einer infrastrukturellen Offensive zu ergreifen. Mittel- bis langfristig kommt die Notenbank an geldpolitischen Revolutionen nicht mehr vorbei, die selbst ihre bislang weltweit unkonventionellste Geldpolitik noch in den Schatten stellen.
In China signalisiert der fortschreitende Seitwärtstrend des offiziellen sowie vom Finanzdatenanbieter Caixin veröffentlichten Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe eine konjunkturelle Stabilisierung auf aktuell niedrigem Niveau.
In der Eurozone bestätigen blutleere BIP-Zahlen für das abgelaufene III. Quartal sowie erste Schätzungen einer auch im Oktober schwachen Inflation die EZB in ihrer Absicht, ihre Liquiditätsoffensive im Dezember auszuweiten.
In den USA zeigen sich der ISM Index für das Verarbeitende sowie Dienstleistungsgewerbe nach der starken Erholung des Vormonats wieder etwas schwächer. Die Auftragseingänge in der Industrie verbessern sich nur schleppend. Laut verhaltener Konsumentenausgaben entwickelt sich auch der US-Konsum nicht reibungslos. Die Daten zum monatlichen Stellenaufbau am US-Arbeitsmarkt dürften zinserhöhungsunkritisch ausfallen. Auch mit Blick auf die bevorstehenden US-Wahlen wird sich die Fed auf ihrer geldpolitischen Sitzung mit einer Zinserhöhung noch zurückhalten.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.
Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de