Unverbindlichkeit, dein Name ist Draghi!
Die EZB betreibt Verbalerotik der Extraklasse. Einerseits betont sie eine stabilere Euro-Konjunktur, was den Einstieg in den Ausstieg aus ihrer ultralockeren Geldpolitik nahelegt. Andererseits signalisiert sie durch die Betonung von Inflationsrisiken – die heutzutage Abwärtsrisiken sind – dass sie sich bei diesem Ausstieg viel Zeit lassen wird. Auch die Fed muss anerkennen, dass ihre früher so erfolgreiche Konjunkturbeeinflussung aktuell deutlich weniger Wirkung zeigt. Der Nordkorea-Konflikt bleibt ein unkalkulierbares Risiko für die Finanzmärkte.
Die auf der Pressekonferenz nach der letzten Sitzung der EZB angehobenen Wachstumsprognosen (2,2 statt 1,9 Prozent im Jahr 2017; 2019 mit 1,8 statt 1,7 Prozent) deuten auf den ersten Blick Potenzial an für eine zukünftig weniger expansive Geldpolitik. Gleichzeitig hob EZB-Präsident Draghi jedoch hervor, dass eine freizügige Geldpolitik für den konjunkturellen Erholungsprozess grundsätzlich notwendig bleibt. Dieser verläuft in der Eurozone ohnehin uneinheitlich. Italien, Portugal und mit Abstrichen Spanien haben ihre Wirtschaftsleistung von vor dem Krisenjahr 2008 immer noch nicht erreicht. Nicht umsonst mahnt Draghi regelmäßig eine wirtschaftsfreundliche Reformpolitik an. Und durch den Brexit – der seine Negativwirkung erst mittelfristig offenbaren wird – sowie (wahl-)politische Risiken in Italien sind weitere konjunkturelle Reibungsverluste durchaus einzukalkulieren.
In diesem Zusammenhang wiederholte Draghi auch seine Besorgnis über die zuletzt sprunghafte Aufwertung des Euros als „Quelle der Unsicherheit“ für die exportseitige Konjunkturerholung, „die beobachtet werden muss“. Allerdings hat Draghi keine Schmerzgrenze für den Euro genannt. Auf die fehlende, deutlichere Stellungnahme contra Euro-Stärke reagieren die Devisenmärkte mit einer weiteren Aufwertung von Euro gegenüber wichtigen Währungen. Es ist aber zu unterstellen, dass die EZB spätestens ab einem Euro/US-Dollar-Wechselkurs von 1,25 einschreitet.
Ein grundsätzlich fester Euro erschwert weiterhin die Inflationierung in der Eurozone. Die Prognosen für die allgemeine Verbraucherpreisinflation wurden 2018 von 1,3 auf 1,2 Prozent und für 2019 von 1,6 auf 1,5 Prozent gesenkt. Der fehlende Lohndruck bei Unternehmen verhindert selbst einen nachhaltigen Anstieg der Kerninflationsrate, also ohne Berücksichtigung von Nahrungsmitteln und vor allem Energiepreisen, die einen deflationierenden Effekt auf die allgemeine Inflation haben. Vor diesem Hintergrund hat es die EZB überhaupt nicht eilig, Änderungen an ihrem Anleiheaufkaufprogramm vorzunehmen. Im Osten Frankfurts – dem Sitz der EZB – nichts Neues. Über Zinserhöhungen denkt die EZB ohnehin nicht nach.
Die geldpolitische Botschaft bleibt eine frohe, zumindest für Kreditnehmer und Finanzmärkte
Erst im Schlussquartal 2017 will sich die EZB konkreter zu Änderungen des laufenden Anleiheaufkaufprogramms äußern. Dabei bleibt sie aber maximal flexibel. Es wird auch dann keine Vorfestlegungen geben. Eine Verlängerung ihrer Anleihekäufe wird sie in jedem Fall ankündigen. Das monatliche Aufkaufvolumen wird wohl kaum unter 40 Mrd. Euro fallen und sich nicht zuletzt am Wechselkurs des Euros orientieren: Je stärker er ist, desto weniger wird das Kaufprogramm reduziert.
Ein geldpolitischer Strukturbruch Richtung Restriktion ist dies nicht. Die Liquiditätsversorgung der Eurozone wächst immer noch oberhalb des Niveaus neu hinzukommender Staatsverschuldung. Und mit der Aussage Draghis, er sehe prinzipiell keine systemischen Risiken durch die von der EZB ausgelösten Anlageblasen, unterstreicht er erneut, dass die Normalisierung der Geldpolitik durch die EZB Wunschdenken ist.
Zum Zeitpunkt der nächsten EZB-Sitzung liegen auch die vollständigen Ergebnisse der von ihr einberufenen Arbeitsgruppe vor, die die bisherige Politik von Quantitative Easing und schädliche Nebenwirkungen eines Ausstiegs beurteilen soll. Nicht zuletzt soll dieses Expertengremium einschätzen, wie die EZB ihre Geldpolitik so lange wie möglich freizügig halten kann. Denn bei Verlängerung des Anleiheaufkaufprogramms unter Beibehaltung der bisherigen Aufkaufrestriktionen und -volumina stehen spätestens im Sommer 2018 keine deutschen Staatspapiere mehr zum Ankauf zur Verfügung.
Zur Aufrechterhaltung der Liquiditätsversorgung könnte die EZB bei ihren Aufkäufen jedoch vom bisherigen Kapitalschlüssel – dem Anteil der Euro-Staaten am Grundkapital der EZB – abweichen und stattdessen nach Marktvolumen aufkaufen. Davon würde vor allem das wirtschaftlich angeschlagene Italien mit dem größten Anleihenmarkt der Eurozone profitieren. Erste Abweichungen zugunsten Italiens sind bereits jetzt feststellbar.
Im Extremfall könnten die Renditen italienischer Staatsanleihen auf das Niveau deutscher fallen. Damit würde die EZB aus technischen Gründen die Marktwirtschaft an den Anleihemärkten der Eurozone komplett aushebeln. Sie betreibt unverhohlene Planwirtschaft. Bonitätsunterschiede, die früher zu Recht maßgeblich bei der Kurs- bzw. Renditefeststellung waren, spielen keine Rolle mehr. Da sich Länder der Euro-Südzone an diese Happy Hour dann noch mehr gewöhnen werden, wird der geldpolitische Ausstieg immer schwieriger bzw. unmöglich. Das Beispiel Japan zeigt, dass eine einmal geöffnete Liquiditäts-Tür nicht mehr zu schließen ist.
Hat Inflation als bedeutendes Kriterium für US-Geldpolitik ausgedient?
Dass sich geldpolitische Planwirtschaft nicht zügig wieder in finanzwirtschaftliche Marktwirtschaft ändern lässt, muss sich mittlerweile auch die US-Notenbank eingestehen. Die Fed-Mitglieder zeigen sich enttäuscht und sogar besorgt, „dass seit fünf Jahren in Folge das Inflationsziel verfehlt wird, obwohl die Auslastung der Wirtschaft stark angezogen hat“. Zwar spricht die Fed in ihrem Konjunkturbericht – dem sog. Beige Book – von einer Festigung der moderaten Wirtschaftserholung, muss aber gleichzeitig einen geringen Lohndruck feststellen. Denn der größtenteils im Niedriglohnsektor stattfindende Beschäftigungsaufbau sowie die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung behindern lohnseitigen Preisdruck deutlich. Tatsächlich arbeiten die seit Jahresbeginn im Trend abwärts gerichteten, durchschnittlichen Stundenlöhne in den USA der Inflation entgegen.
Auch der ISM Subindex für bezahlte Preise in der US-Industrie signalisiert eine mangelnde volkswirtschaftliche Preisdurchsetzungskraft der Unternehmen, was nicht für Inflationsdruck spricht.
Mit Blick auf das sich entspannende Preisumfeld fällt die amerikanische Zinsstrukturkurve – Differenz aus 10-jähriger US-Staatsanleiherendite abzüglich US-Notenbankzins – seit Ende 2016 kontinuierlich. Während der Leitzins stieg, fiel die Anleiherendite.
Mittlerweile ist sie so flach wie zuletzt zu Zeiten der Immobilienkrise 2008. Damit stellt sie ein ernstes Konjunkturrisiko dar. Denn die Aufnahme kurzfristigen zinsgünstigen Geldes und Anlage in längerfristig höherrentierliche Investments – die sogenannte Fristentransformation – ist für Banken weniger attraktiv. Insofern hat die Fed überhaupt keine Veranlassung, über eine fortgesetzte Zinserhöhungspolitik die Abflachung der Zinskurve zu fördern. Die Frühindikatoren gäben nach und die Fed könnte schließlich gezwungen sein, einen Ausstieg aus dem Einstieg in den geldpolitischen Ausstieg zu betreiben. Der Gesichtsverlust der bedeutendsten Notenbank der Welt wäre immens. Die Fed wird sich zinspolitisch zurückhalten.
Marktstimmung – Unterschätzt die Börse den Nordkorea-Konflikt?
Die Finanzmärkte betrachten den Nordkorea-Konflikt bemerkenswert entspannt. Offensichtlich haben die vielfachen Schulden-, Banken- und Euro-Probleme der Vergangenheit zu einem Gewöhnungseffekt geführt. Am Ende haben die Geldpolitiker immer verhindert, dass diese finanzpolitischen Krisen zu systemischen Zusammenbrüchen wurden.
Ohnehin, nach den letzten Konjunkturdaten und Einlassungen der EZB und Fed bleibt die Geldpolitik auch zukünftig die Aorta der Finanzmärkte. An Arteriosklerose ist nicht zu denken.
Geopolitische Konflikte sind aber keine finanzpolitischen und daher von Notenbanken nicht zu lösen. Und die Krise in Nordkorea sollte nicht unterschätzt werden. Bisher ist nur ein kalter Krieg zu beobachten, bei dem man sich zwar gegenseitig empört, aber gravierende Folgen ausgeblieben sind. Eine heiße Eskalation ist jedoch nicht ausgeschlossen.
Das Problem ist, dass der nordkoreanische Machthaber nichts zu verlieren hat, wirtschaftlich sogar mit dem Rücken zur Wand steht. Noch schlechter kann es seiner Volkswirtschaft kaum mehr gehen. Leider hat Kim Jong-un auch die ihm schon früher selbst von Amerika gebauten Brücken regelmäßig eingerissen. Ein Einlenken seinerseits jetzt wäre ein dramatischer Gesichtsverlust und könnte ihm sogar mehr als das politische Genick brechen. Umgekehrt kann ihm die Weltgemeinschaft aber auch nicht übermäßig entgegenkommen, um sich nach erfolgreichem Test einer Wasserstoffbombe dann wie einen willfährigen Ochsen durch die Manege führen zu lassen. Auch die Gegenseite hat ein Gesicht zu verlieren.
Zunächst sollte die US-Führung verbal nicht weiter Öl ins Feuer gießen. Vor allem aber ist China als kommunistischer Blutsbruder Nordkoreas gefragt, diesen Konflikt zu besänftigen. Eine zuschauende Haltung Pekings, wie sich Nordkorea und die USA gegenseitig hochschaukeln, ist dieser großen asiatischen Wirtschaftsmacht, die ebenso politische Weltmacht sein will, völlig unwürdig. Im Ernstfall hat Peking geostrategisch am meisten zu verlieren. Ein Zusammenbruch des nordkoreanischen Regimes mit nachfolgender asiatischer Flüchtlingskrise könnte den sozialen Frieden im Reich der Mitte bedrohen. Zudem ist Nordkorea ein wichtiger strategischer Puffer, denn solange Nordkorea existiert, stehen bislang in Südkorea stationierte US-Soldaten nicht direkt an der chinesischen Grenze.
Allerdings ist selbst China in seiner Rolle als Nordkorea-Flüsterer zuletzt wenig erfolgreich gewesen.
Die geopolitische Unsicherheit beflügelt das Interesse an Gold als sicherem Hafen. Dieses Bild ergibt sich auch aus dem spürbaren Anstieg der spekulativen Netto-Long-Positionen am Terminmarkt. Sobald sich eine Lösung im Nordkorea-Konflikt abzeichnen, besteht umgekehrt ebenso deutliches Korrekturpotenzial bei Gold.
Charttechnik DAX und MDAX – Die Marke von 12.000 DAX-Punkten hält
Charttechnisch verläuft im DAX auf dem Weg nach oben der erste wichtige Widerstand bei aktuell 12.301 Punkten. Wird dieser überschritten, tritt darüber die Marke bei 12.391 in den Vordergrund. Setzt sich die Konsolidierung im DAX fort, verläuft eine erste Unterstützung bei 12.191 und darunter eine weitere, wenn auch schwache, an der 200-Tage-Linie bei aktuell 12.060. Darunter wartet die psychologisch wichtige Auffanglinie bei 12.000 Punkten. Schließlich gibt die Marke bei 11.935 Halt.
Im MDAX verläuft auf der Oberseite der erste wichtige Widerstand bei aktuell 25.262 Punkten. Darüber folgen weitere Barrieren bei 25.369 sowie 25.765. Setzt sich hingegen die Konsolidierung fort, gibt zunächst die Marke bei 24.607 Halt. Darunter liegen schließlich weitere Unterstützungen bei 24.195 sowie 23.635 Punkten.
Der Wochenausblick für die KW 37 – Konjunkturdaten geben Zeit für zinserhöhungspolitische Enthaltsamkeit
In China verdeutlichen die August-Zahlen zu Industrieproduktion und Einzelhandelsumsätzen eine wieder stabilere Konjunktursituation.
Dagegen signalisieren in den USA blutleere Einzelhandelsumsätze und ein von der University of Michigan veröffentlichtes Verbrauchervertrauen, das sich der Konsum zunehmend von seiner jahresanfänglichen Stärke entfernt. Auch die Industrieproduktion zeigt sich verhalten. Eine kraftlose Konjunktur- und eine im August auch nur moderte Inflationsentwicklung geben der Fed Zeit für zinserhöhungspolitische Enthaltsamkeit.
Auch die Inflationszahlen in Deutschland versetzen die EZB nicht in geldpolitisch-restriktiven Zugzwang.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
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Bildquellen: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de