Kommt es nach den französischen jetzt zu italienischen Wochen an den Finanzmärkten?
Gerüchteweise soll es im kommenden Herbst zu vorgezogenen Nationalwahlen in Italien kommen. Kommt es – nachdem Frankreich Europa-freundlich gewählt hat – zu einer Rückkehr der Eurosklerose, diesmal auf italienische Art? Die Euro-renitente Opposition in Rom verfolgt konsequent den „Italexit“ als vermeintliche Lösung für Italiens gesamte (Wirtschafts-)Übel. Endet das Super-Wahljahr 2017 also doch noch auch für die Aktienmärkte tragisch? Immerhin präsentiert sich jedoch die EZB als pro-europäischer Wahlkämpfer.
Italien ist der todkranke Mann Europas
Nachdem sich alle großen Parteien über eine Änderung des seit Jahresbeginn vom römischen Verfassungsgericht für ungültig erklärten Wahlsystems in Italien einig sind, verdichten sich die Anzeichen für vorgezogene Neuwahlen im September. Vorbild soll das deutsche Verhältniswahlrecht sein. Mit einer Fünf-Prozent-Hürde wäre sicherlich die regierungsbehindernde Vielzahl an Splitterparteien – aktuell sitzen 27 Fraktionen im italienischen Parlament – Geschichte, die eine effektive Regierungsarbeit seit Kriegsende immer erschwerten. Zukünftige Regierungskoalitionen sind damit endlich stabiler und mit längerer politischer Halbwertszeit ausgestattet.
Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass Italiens Wähler – wie bereits beim Verfassungsreferendum im Dezember 2016 – das politische Establishment abstrafen und sich eine Euro-kritische Parlamentsmehrheit ergibt. Die Arbeitslosigkeit vor allem bei Jugendlichen und die allgemeine Perspektivlosigkeit sind nach wie vor hoch. Selbst von der aktuell breiten konjunkturellen Erholung in Europa profitiert Italien nur blutarm. Italien hat sein Wirtschaftsniveau vor dem Platzen der Immobilienblase 2008 noch nicht annähernd wieder aufgeholt. Dagegen ist Spanien dieser Aufholprozess geglückt. Selbst Portugal zeigt mehr wirtschaftliche Stärke. Hintergrund dieser „miseria italiana“ ist eine fast schon sprichwörtlich schwache Wettbewerbsfähigkeit, gekoppelt mit einer politischen Verweigerung, die Trendwende einzuleiten. Man will keinen Wähler mit schmerzhaften Reformplänen verprellen. Die Schuldigen werden lieber in Brüssel und Berlin gesucht.
Die Gunst der politischen Stunde für vorgezogene italienische Neuwahlen nutzen
In Italien muss bis spätestens Mai 2018 gewählt werden. Um ein Euro-kritisches Wahlergebnis zu verhindern, versucht Italien die Wahl vorzuziehen. Damit will man von der aktuell günstigen Euro-Stimmung profitieren. Denn zunächst hinterlässt der Brexit mit seinen wirtschaftlich negativen Folgen auch in Italien einen bitteren Nachgeschmack. Auch hofft man, vom Schwung der Europa-freundlich ausgegangenen Präsidentschaftswahl in Frankreich und der ohnehin Euro-unkritischen Bundestagswahl zu profitieren. Tatsächlich könnten die deutschen und italienischen Wahlen gleichzeitig am 24. September stattfinden. Nicht zuletzt kommt ein gewisser europäischer Corpsgeist hinzu, der sich nach dem zuletzt unfreundlichen Verhalten Präsident Trumps gegenüber europäischen Politikern offenbarte. Je länger man jetzt mit Neuwahlen wartet, desto eher besteht das Risiko von Verlusten dieses positiven Schwungs und damit von Zugewinnen für die Euro-austrittsbereite Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega Nord.
Wie über Macron freut sich Europa auch über Renzi, aber…
Ein gutes Ergebnis der Partito Democratico (PD) von Matteo Renzi spricht gegen einen Italexit. Auch wenn er die absolute Mehrheit nicht erreichen würde, könnte er mit der Partei Forza Italia eine Koalition eingehen. Allerdings steht ihr Parteichef Berlusconi für alle Koalitionen offen – auch mit den Euro-Gegnern – um sich und seine abgehalfterte Partei aufzuwerten. Immerhin, etwa 60 Prozent der italienischen Wähler sind pro-Europa eingestellt. Nach heutigen Umfragen ist ein knappes, pro-europäisches Wahlergebnis zu erwarten. Der nach Gerüchten über eine Neuwahl nur leichte Anstieg der Risikoaufschläge italienischer zu deutschen Staatspapieren vermittelt auch seitens der Anleihemärkte ein entspanntes Bild. Deutliche Vorsicht ist jedoch angebracht.
Ein Wahlsieger Renzi würde eine Allianz mit dem neuen französischen Staatspräsidenten Macron schließen. Beide wollen eine finanzpolitische Vertiefung der EU und der Eurozone. Das schließt Schuldenvergemeinschaftungen über Eurobonds und ganz allgemein eine Schleifung des „deutschen Stabilitätsdiktats“ ein. Berlin – im Rahmen des Brexit ziemlich allein im europäischen Stabilitätshaus – wird einen hohen romanischen Doppeldruck aushalten müssen. Macron und Renzi würden argumentieren, dass – da die regulären neuen Nationalwahlen in beiden Ländern zeitgleich im Jahr 2022 stattfinden – im Extremfall zwei Länder gleichzeitig aus dem Euro-Zustimmungslager fallen könnten, wenn sich Berlin nicht einsichtig für wählerfreundliche Stabilitätslockerungen zeigt.
Die EZB bleibt vorerst der Wahlkämpfer für Europa
Sie gibt es nicht zu, aber die EZB hat die vermutlich im Herbst stattfindende Neuwahl in Italien fest im Blick. Zur finanzpolitischen Schonung Italiens vor höheren Schuldzinsen, die auch auf Wähler negativ abfärben würde, wird sie vor den Wahlen eine gewisse konjunkturelle Besserung in Europa so zurückhaltend formulieren, dass ihre geldpolitische Gegensteuerung noch nicht erforderlich ist. Einen Vorgeschmack lieferte Mario Draghi kürzlich vor dem Europa-Parlament: So sei die EZB fest überzeugt, dass ein „außergewöhnliches Ausmaß an geldpolitischer Unterstützung“ immer noch nötig ist. Alibis für eine fortgesetzt laxe Geldpolitik kommen von gegenüber Vorjahr rückläufigen Rohstoffpreisen, die die Inflationsrate wieder deutlich von 1,9 im April auf 1,4 Prozent im Mai gesenkt haben. Eine im früheren Vergleich nur noch schwache Opec kann sich zu weiteren Ölförderkürzungen nicht durchringen. So ist sogar zu erwarten, dass die EZB auf ihrer Sitzung in der kommenden Woche ihre Inflationsprojektion senkt. Schwache Inflation als Alibi für fortgesetzt laxe EZB-Politik.
Erst nach den Herbst-Wahlen wird die EZB eine allmähliche, schneckenhaft langsame Trendumkehr ihrer Geldpolitik in Aussicht stellen.
Trotz wilder Spekulationen bleibt die Fed locker
Selbst der Fed mangelt es angesichts der allgemeinen Trump-Ernüchterung an stichhaltigen Argumenten für Zinserhöhungen und Liquiditätszurückführung. So zeigt die US-Industrie zunehmend Ladehemmung. Zwar liegt der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe weiterhin in Expansion anzeigendem Terrain. Insbesondere die Subkomponenten der Neuauftragslage und der Beschäftigungsplanung haben jedoch im Trend spürbar an Dynamik verloren.
Auch bei US-Kleinunternehmen macht sich Ernüchterung breit. Die Unternehmenssteuerreform und Infrastrukturmaßnahmen werden sich weit in das kommende Jahr hinein verzögern und dann auch nur in zurückgestutzter Form umgesetzt werden. Tatsächlich hat sich der von der National Federation of Independent Business ermittelte Optimismus-Index nach seinem Trump-bedingten Anstieg abgeflacht, während sich der Aktienindex der Kleinunternehmen (Russell 2000 Index) lustlos zeigt.
Geldpolitisch entspannend wirkt auch die Gegenüberstellung des ökonomischen Überraschungs-Index für die USA seit der Wahl Donald Trumps im Herbst 2016 – von der Citigroup veröffentlicht, misst er positive bzw. negative Abweichungen der tatsächlich berichteten Konjunkturdaten von den zuvor getroffenen Analysteneinschätzungen – mit der Anzahl von Analysten erwarteter US-Zinserhöhungen bis Ende 2017. Der bislang eindeutige Gleichlauf hat sich seit Mitte April aufgrund enttäuschender US-Konjunkturdaten entzweit. Demnach findet sich nicht wirklich eine Grundlage für zwei weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr. Nach einer weiteren Zinsanhebung auf ihrer Sitzung am 14. Juni könnte Fed-Chefin Yellen auf der anschließenden Pressekonferenz auf Zeitgewinn spielen.
Marktstimmung – Die Risiken sind überschaubar
Zwar können die voraussichtlichen Neuwahlen in Italien im September für zwischenzeitliche Verunsicherung sorgen. Denn ein Euro-kritischer Wahlausgang ist nicht auszuschließen.
Allerdings scheinen die Börsen einen versöhnlichen Ausklang des Super-Wahljahres 2017 zu erwarten. Tatsächlich zeigen sich in einem von der BNP Paribas veröffentlichten Index klare Anzeichen eines Rückgangs politischer Risiken in der Eurozone. Ohnehin sind die Schwankungen am Euro-Aktienmarkt laut Euro Stoxx 50 Volatility Index politisch unverdächtig.
Für deutsche Aktien sprechen zunehmend fundamentale Steherqualitäten. So befindet sich der ifo Geschäftsklimaindex – die hierbei direkt befragten Unternehmenslenker geben prinzipiell ein verlässliches Bild der deutschen Wirtschaft wider – vor allem aufgrund der starken Geschäftslage auf einem Allzeithoch. Trumps Handelsprotektionismus hat seinen Schrecken offenbar verloren.
Charttechnik DAX – Für den langfristigen Aufwärtstrend besteht keine Gefahr
Beim DAX verläuft die erste Unterstützung bei 12.700 Punkten. Darunter folgen bei 12.532 und 12.524 weitere Haltelinien. Kann der Index auf der Oberseite den Widerstand bei 12.762 zurückerobern, liegen die nächsten Barrieren bei 12.787 und 12.832. Darüber stößt der Index zunächst bei 12.842 auf weiteren Widerstand, bevor der Weg bis zur psychologisch wichtigen Marke von 13.000 Punkten frei ist.
Der Wochenausblick für die KW 23 – Wie wählen die Briten?
Der Fokus der Anleger gilt der Parlamentsneuwahl in Großbritannien am 8. Juni 2017, bei der laut Umfragen die absolute konservative Mehrheit Theresa Mays zwar abnimmt, aber dennoch eindeutig zu erwarten ist. Die Stimme des Volkes für die Eröffnung der Schlammschlacht Großbritanniens gegen die EU hat gesprochen.
In China verdeutlicht der vom Finanznachrichtenanbieter Caixin veröffentlichte Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor sowie erneut nachgebende Im- und Exporte, dass die Konjunktur nicht auf festen Füßen steht.
In den USA weist der ISM Index für den Dienstleistungssektor auf eine abnehmende Dynamik hin und ebenfalls schwächere Industrieauftragseingänge untermauern, dass die US-Konjunkturerholung nicht reibungslos verläuft.
In der Eurozone zeigt sich das vom Finanzdatenanbieter Sentix veröffentlichte Investorenvertrauen ordentlich. Trotzdem nutzt die EZB auf ihrer Sitzung die rückläufige Inflation als willkommenes Alibi, eine geldpolitische Trendwende bis nach der Italien-Wahl zu verschieben.
In Deutschland unterstreichen freundlichere April-Zahlen zu Auftragseingängen in der Industrie, Industrieproduktion sowie Exporten die aktienfreundliche Konjunkturstabilisierung.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG:http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.
Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de