Deutsche Industrie zwischen Trumpophobie und Trumpophilie
Ohne Zweifel, das ifo Geschäftsklima hat im Januar enttäuscht. Es ist auf den niedrigsten Stand seit September 2016 gefallen. Gemessen an der großen Stichprobe von ca. 7.000 deutschen Unternehmen wird die deutsche Wirtschaft zum Jahresstart an Momentum verlieren. Als übliche Verdächtige werden Trump und Brexit genannt. Das sind jedoch keine neuen Tatsachen. Denn die Industriefirmen sind über den neuen US-Präsidenten bereits seit November und über den britischen Ausstieg aus der EU seit Juni 2016 informiert. Ohnehin zeichnen der Einkaufsmanagerindex und die Auftragseingänge der deutschen Industrie ein aufgehelltes Bild. Wie schwer lasten also die protektionistischen Risiken und die Neuausrichtung der britischen Wirtschaft wirklich auf der deutschen Konjunktur?
Laut ifo Institut verliert die konjunkturell gute Stimmung zu Jahresbeginn an Fahrt. Zwar zeigen sich die befragten Unternehmen mit der aktuellen Geschäftslage erneut zufriedener. Gemäß Geschäftserwartungen blicken sie jedoch weniger optimistisch auf das erste Halbjahr 2017. Immerhin, setzt man Lage und Erwartungen zueinander in Beziehung, befindet sich die deutsche Industrie noch in der konjunkturellen Zyklusphase „Boom“.
Bei näherer Betrachtung der einzelnen Industriesektoren sind für die Stimmungseintrübung vor allem der Handel und das Baugewerbe verantwortlich. Dem gegenüber ist der Rückgang im exportsensitiven Verarbeitenden Gewerbe als deutsche Schlüsselindustrie weniger markant. Nach der zuletzt sehr einseitigen Fokussierung auf die positiven weltkonjunkturellen Streueffekte der Trumponomics hinterlassen jetzt Bedenken in puncto Einschränkung des freien Welthandels ihre Spuren. Nach der deutlichen Aufhellung der letzten Monate stellen diese Rücksetzer jedoch grundsätzlich eine überfällige Korrektur dar.
Handelsprotektionistisch hat Trump zwar die Peitsche ausgepackt…
Selbstverständlich stimmt die vom US-Präsidenten Trump angeschlagene handelspolitische Rhetorik alarmierend. Trumps Rückzug vom Transpazifischen Handelsabkommen TPP ist ein Paukenschlag. Und auch die Absicht, das nordamerikanische Handelsabkommen NAFTA neu zu verhandeln, signalisiert, dass sich der Wind in Amerika gegen den Freihandel gedreht hat. Generelle Zölle auf alle Importe werden von der neuen Administration immer wieder beschworen. Angesichts eines üppigen Exportüberschusses gegenüber den USA liegt die exportseitige Gefahr für Deutschland klar auf der Hand.
Es ist naiv anzunehmen, dass ein Freihandel zwischen Europa und Asien ohne die USA die klare Alternative ist. Auch China fürchtet sich vor amerikanischen Strafzöllen. Das spräche zwar für eurasische Zusammenarbeit. Zunächst sind jedoch Rechtssicherheit und Urheberschutz in China sicherlich nicht so ausgeprägt wie in den USA. Und Peking wird sicherlich nicht den barmherzigen handelspolitischen Samariter für Europa ohne üppige Gegenleistung spielen. Dieser Preis wird z.B. ein möglichst bedingungsloser Zugriff auf deutsche vor allem mittelständische Industrieunternehmen sein. China ist im Rahmen seiner Technologie- und Digitalisierungsoffensive dringend auf Zukäufe angewiesen, da die eigene Entwicklung zu zeit- und kostenaufwendig wäre. Das Beispiel Kuka zeigt, dass hier mit harten chinesischen Bandagen gekämpft wird. Ohnehin sollte die Lobrede des chinesischen Präsident Xi Jinping über den weltweiten Freihandel auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos nicht überschätzt werden. Der Handelsprotektionismus spricht nicht nur englisch, sondern auch fließend chinesisch.
…die deutsche Industrie und ihre Aktien haben dennoch ihre Chancen
Grundsätzlich stellt sich die Frage, inwiefern amerikanischer Handelsprotektionismus die deutsche Exportindustrie trifft. Blufft Trump mit seiner harten handelspolitischen Rhetorik, um Angst und Schrecken zu verbreiten, um einen guten „Deal“ zu machen, um Entgegenkommen von deutscher auch politischer Seite zu erreichen?
Warum sollte Amerika den Export deutscher Produkte und Dienstleistungen beeinträchtigen, wenn die deutsche Industrie ihre „Hausaufgaben“ erledigt und in den USA arbeitsplatzaufbauende Investitionen tätigt? Ohnehin sind die großen deutschen Autobauer schon aktuell auch große US-Arbeitgeber. Im Übrigen fahren in den USA deutlich mehr Autos aus Asien als aus Deutschland umher.
Und hinter vorgehaltener Hand weiß auch die wirtschaftsintelligente Fraktion der US-Regierung um die Bedeutung amerikanischer Exporte nach Europa und Deutschland. Arbeitsplatzrisiken in der amerikanischen Exportindustrie werden nicht unberücksichtigt bleiben.
Vor diesem Hintergrund zeichnet der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe in Deutschland mit 56,5 – dem höchsten Wert seit Mitte 2011 – ein wesentlich freundlicheres Bild als die ifo Daten. Trotz handelsprotektionistischer Befürchtungen – so ist man in der deutschen Export- und Maschinenbauindustrie überzeugt – kommt ein sich reindustrialisierendes Amerika an deutschem Industrie-Know How nicht vorbei. Davon profitieren insbesondere mittelständische Werte, die mit ihren Qualitätsprodukten und Patenten Weltmarktführer auch in industriellen und technologischen Nischenmärkten sind. Vor diesem Hintergrund dürfte die seit Juni 2016 zu beobachtende, relative Schwäche von Titeln des MDAX und SDAX zum DAX auslaufen und sich ein Trendwechsel einstellen.
Hinzu kommen wachsende Übernahmephantasien auch aus den USA. Denn zunehmend gehen auch große US-Investoren auf Einkaufstour im deutschen Mittelstand. So überführt Warren Buffett die Wilhelm Schulz GmbH in seinen 2015 übernommenen Industriezulieferer Precision Castparts Corporation (PCC). Der deutsche Mittelständler ist Weltmarktführer für Rohrzubehörteile, die in der Öl- und Gas-Industrie sowie beim Flugzeugbau zum Einsatz kommen.
Marktlage und Anlegerstimmung – Aktienüberbewertung? Ja, aber…
Grundsätzlich werden die Trumponomics als Argumente für eine sich weiter stabilisierende US-Konjunktur gewertet. Das schlägt sich auch in einem positiven US-Aktienmarkt nieder. Ohne Zweifel ist der US-Aktienmarkt mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 18 absolut teuer.
Immerhin geben jedoch im Rahmen der US-Berichtsaison für das IV. Quartal 2016 bislang mehr als die Hälfte der bisher berichtenden Unternehmen an, von der geplanten Senkung der Unternehmenssteuern zu profitieren. Damit ergibt sich für die bislang noch schwache US-Gewinnentwicklung spürbares Aufwärtspotenzial, was für eine fundamentale Bewertungsentspannung spricht.
Im relativen Bewertungsvergleich mit Staatsanleihen erfahren US-Aktien ohnehin eine Entspannung. Denn trotz Abbau haben US-Renditen immer noch einen gehörigen Bewertungsvorsprung.
Trotz Kritik z.B. der Bundesbank wird die EZB an ihrer üppigen Geldpolitik festhalten. Die EZB weiß, dass sie vor den Nationalwahlen in Europa die (sozial-)politischen Probleme in Liquidität ertränken muss, um eine Wählerstimmung pro Euro-Status Quo zu begünstigen. Tatsächlich zeigt sich der von BNP Paribas veröffentlichte Political Risk Index – der die politischen Risiken für die Euro-Finanzmärkte misst – rückläufig. Im Trend sind mit ihm auch entsprechende Kursschwankungen europäischer Aktienindices verbunden. Und diese haben sich spürbar auf den tiefsten Stand seit Ende 2014 zurückgebildet.
Da die EZB vor diesem Hintergrund Inflation nicht konsequent bekämpfen will, ist eine Ausweitung der negativen Realzinsen nicht zu verhindern. In Deutschland befinden sich die Realrenditen auf Basis der durchschnittlichen Rendite deutscher Staatsanleihen auf historischem Tief.
In der Konsequenz nehmen Anleger bereits seit Oktober 2016 eine Umschichtung von Anleihe in die attraktivere Anlageklasse deutscher Aktien vor.
Charttechnik DAX – Der Aufwärtstrend ist intakt
Aus charttechnischer Sicht setzt sich der Aufwärtstrend im DAX fort, wenn der Index den nächsten Widerstand bei 11.920 Punkten überwindet. Darüber liegt schließlich die nächste Barriere am Allzeithoch bei 12.391. Kommt es zu einer zwischenzeitlichen Konsolidierung, liegt eine erste Unterstützung bei 11.800 gefolgt von einer wichtigen Haltelinie bei 11.692 Punkten. Wird auch diese unterschritten, geben die Marken bei 11.531 und darunter bei 11.430 und 11.357 Halt.
Der Wochenausblick für die KW 5 – Die US-Notenbank spielt auf Zeit
In China signalisiert sowohl der offizielle als auch der vom Finanznachrichtendienst Caixin ermittelte Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe einen stabilen konjunkturellen Jahresstart. In Japan verdeutlicht eine im Dezember schwächelnde Industrieproduktion die Notwendigkeit konjunkturstabilisierender Maßnahmen der Bank of Japan, auch wenn sie sich auf der bevorstehenden Sitzung noch zurückhalten wird.
In den USA zeigen stabilisierte Auftragseingänge in der Industrie sowie Konsumentenausgaben für Dezember eine fortschreitende Konjunkturerholung. Das bestätigen ebenfalls erholte ISM Indices für das Verarbeitende Gewerbe sowie den Dienstleistungssektor im Januar. Entsprechend setzt sich auch die Erholung auf dem US-Arbeitsmarkt fort. Trotzdem wird sich die Fed auf ihrer Zinssitzung aufgrund einer gewissen Schonzeit für die neue Trump-Administration zurückhaltend zeigen und sich nach Juni vermutlich erst in der zweiten Jahreshälfte 2017 mit weiteren Zinserhöhungsfragen beschäftigen.
In der Eurozone setzt sich die Konjunkturstabilisierung gemäß BIP-Zahlen für das zurückliegende IV. Quartal 2016 auch im Januar fort, was vom Economic Sentiment Index der EU-Kommission unterstrichen wird. Auch die vor allem Energiepreis getriebene Inflationsbeschleunigung setzt sich laut Erstschätzungen im Januar zunächst fort.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.
Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de