Wer hat noch Angst vor der Opec?

Auf ihrem letzten Treffen im Rahmen des Internationalen Energieforums in Algier hat die Opec etwas getan, was sie früher immer gerne und oft, aber schon länger nicht mehr gemacht hat: Sie hat eine Produktionsdrosselung beschlossen. Und tatsächlich bewegte sich der Ölpreis zuletzt wieder über der psychologisch wichtigen Marke von 50 US-Dollar pro Barrel.

Ist das die Trendwende beim Ölpreis nach oben? Nein, eine Schwalbe macht noch lange keinen Sommer. Angesichts einer täglichen Fördermenge von über 33 Millionen Barrel pro Tag entsprechen 800 Tsd. Barrel Förderkürzung dem Tropfen auf den heißen Stein. Das ist reine Förder-Kosmetik. Es ist kein Akt der Stärke, sondern ein Akt der nackten Verzweiflung. Doch ohne diese kleine Förderkürzung hätte sich das Ölkartell als vollends handlungsunfähig gezeigt. Irgendwie wollte man in Algier krampfhaft suggerieren, die Opec verfüge noch wie früher über die Macht, Ölpreise hoch zu setzen.

Doch mit der Preisfestsetzungsmacht ist es wie mit der Jugend: Sie kommt nicht mehr zurück. Das Problem der Opec einer weltweiten Ölüberversorgung und damit verbunden nachhaltig niedrigen Ölpreisen ist chronisch unlösbar. Dafür sprechen zwei gewichtige Gründe.

Die Opec-Nachkommen haben kein Auskommen mehr mit ihrem Öl-Einkommen

Erstens befinden sich die Ölländer in einem Gefangenendilemma. Zwar könnten alle versuchen, durch gemeinsame Förderkürzungen höhere Gewinne aus höheren Ölpreisen zu erzielen. Aber wenn ein „Pharisäer“ dabei ist, der egoistisch Sabotage im Sinne einer unbeirrt weiter hohen Eigenförderung betreibt, werden die anderen zu Verlierern. Schon früher war Ölförderdisziplin aus logistischen Gründen nicht überwachbar. Noch nie fuhren Expertenteams weltweit die unzähligen Ölfelder und Bohrplattformen ab und maßen, wie viel Öl aus Erde oder Meer gepumpt wird. Dieser Kontroll-Tourismus ist technisch viel zu aufwendig. Immerhin, in den 70er Jahren legten die Ölförderländer noch einen hohen Grad an ideologischer Disziplin an den Tag. Heute ist aus dem früheren Wahlspruch der drei Musketiere „Einer für Alle, Alle für Einen“ längst „Jeder ist sich selbst der Nächste“ geworden. So produziert z.B. der Iran weiter am Limit. Nach den vielen Jahren der Sanktionen braucht das Land jeden Cent für die Kernsanierung seiner zum Industriemuseum gewordenen Volkswirtschaft. Man tut alles dafür, dem Erzfeind Saudi-Arabien Marktanteile in Europa und Asien abzujagen.

Auch Saudi-Arabien als der J.R. Ewing unter den Ölländern ist das Hemd näher als der Opec-Rock. Die auch aus Gründen einer verhaltenen Weltkonjunktur gesunkenen Ölpreise lassen den saudischen Reichtum aus 1000 und einer Nacht oder – profaner ausgedrückt – die Staatseinnahmen nicht mehr so glänzen wie früher.

Gleichzeitig weiß man in Riad natürlich, dass die saudi-arabische Volkswirtschaft dringend auf die Zeit nach der Ölepoche vorbereitet werden muss. Die Elektro-Mobilität wird Ölmotoren mehr und mehr zu Dinosauriern machen, die nur noch auf den Einschlag des Meteoriten warten. Und früher oder später sind die hohen Sozialleistungen, die Saudi-Arabien als Fixkosten zahlt, um das Volk bei guter Laune zu halten, auch immer weniger aus der Öl-Portokasse zu bestreiten. Da ist der saudische Wunsch groß, Preisnachteile durch Mengenvorteile auszugleichen. Immerhin hat man ja die geringsten Ölförderkosten der Welt. Besser früher als später sollte man also rausholen, was rauszuholen ist. Öl muss gepumpt werden bis die Pipelines glühen.

Insgesamt ist für preissteigernden gemeinnützigen, also Opec-freundlichen Corpsgeist kein Platz mehr. Allerdings betreiben die eigennützigen Mitglieder im Ölförderverein eine andere Art von „Gemeinschaft“. Ihr kollektiver Masochismus erinnert an Freilandhühner, die sich für Käfighaltung stark machen. Diese gemeinschaftliche Disziplinlosigkeit macht sie individuell unfrei.

Der saudische Kampf gegen Fracking entspricht dem Kampf Don Quijotes gegen Windmühlen

Zweitens, sicherlich hat die saudische Strategie, konventionelle Ölförderung bis Oberkante Unterlippe zu betreiben, auch die Absicht, dem unkonventionellen „Fracking“ über Ölpreisdumping den Garaus zu bereiten. Doch hat diese alternative, vor allem US-amerikanische Ölfördermethode hohen strategischen Wert. Nach dem Zusammenbruch der Immobilienblase 2008 hat Amerika seinen wirtschaftlichen „Vietnam-Effekt“ erlitten. Die USA fühlten sich plötzlich angreifbar und hatten panische Angst davor, andere Länder wie China könnten ihnen den allmächtigen Weltmachtthron streitig machen. Seitdem setzt Amerika wie ein aufgescheuchtes Huhn alles daran, ökonomisch stark und unabhängig zu sein. Dazu gehört auch die energieseitige Freiheit über Fracking. An dieser unkonventionellen Alternativfördermethode werden die USA selbst bei massiv fallenden Ölpreisen festhalten wie Hunde am Knochen. Und dazu gehört es dann ebenso, dass in Not geratene Anleihen von Fracking-Unternehmen zur Not von Fed-Chefin Janet Yellen in Watte gepackt werden. Die Fed hat schon immer eher eine staats- und wirtschaftstragende Geldpolitik betrieben. Sie war immer die Notenbank, die sich konjunkturell einmischt. Und so würde auch bei der finanzpolitischen Heilung der heimischen Energiebranche das Motto gelten: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.

Und sollten jemals die Ölpreise bei konventionellem Öl – warum auch immer – steigen, wird Fracking so richtig attraktiv. Dann geht man konventionellem Öl unkonventionell fremd: Bei Preisen ab ca. 50 US-Dollar pro Barrel aufwärts wird die Gewinnschwelle erreicht. Im Übrigen handelt es sich bei Fracking um eine noch junge Industrie, mit der sich über technische Quantensprünge selbst bei noch schwächeren Ölpreisen Geld verdienen lässt.

Gleichzeitig heißt das aber auch, dass Fracking und nicht mehr die Opec den Ölpreis festlegt. Die Gewinnschwelle der Fracking-Industrie ist das Maß aller Dinge.

Opec – Der früher brüllende Tiger ist heute als Bettvorleger geendet

Egal was die Opec macht und tut, ihre Glanzzeiten und ihre früher einzigartige Bedeutung für den Ölpreis sind für immer vorbei. Energiekrisen wie 1973 oder 1979 – als die Industrienationen Angst vor dem Zusammenbruch ihrer Konjunkturen und galoppierender Inflation hatten – kann sie nicht mehr auslösen. Den Tiger kann man zwar noch tanken, aber beißen kann er nicht mehr, noch nicht einmal mehr brüllen. Er schnurrt wie ein Schmusekätzchen.

Ölpreise auf dreistelligem Niveau werden wir nicht ansatzweise mehr sehen. Vor dieser Opec muss man genauso wenig Angst haben wie vor dem Gespenst unter dem Bett.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

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Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de