MHR – Rettungstrio für Europa oder Trio Infernale?

Also gut in Szene setzen kann sich Polit-Europa unbedingt: Das Trio MHR (Merkel, Hollande, Renzi) traf sich kürzlich auf der italienischen Sonneninsel Ventotene, um nach Brexit und mit Blick auf Flüchtlingskrise und Terrorgefahr, aber auch Konjunktur- und Bankenkrise mit viel Schmackes einen Neustart der EU zu propagieren.

„Europa ist ein Ideal“ sagte der französische Präsident. Da hat er vollkommen Recht. Auch ein Abitur mit 1 oder eine olympische Goldmedaille sind Ideale. Damit aus dem Ideal Realität wird, muss man aber leider etwas dafür tun. Doch offensichtlich war Europa nur stets bemüht, denn es ist kein Ruhmesblatt, wenn ein großes Land den europäischen Verbund verlässt und sich in fast jedem europäischen Land vor lauter „EU-Freude“ Euro-kritische Bewegungen formiert haben.

Umso mehr zeigten die drei Polit-Musketiere in Italien den festen Willen, Zukunftsgeschichte für die EU zu schreiben. Gut gebrüllt Ihr Löwen. Aber wieso ausgerechnet jetzt dieser Aufriss? Die Probleme in der EU sind doch schon lange bekannt wie ein bunter Hund. Könnte es vielleicht daran liegen, dass Herr Renzi im Oktober ein Verfassungsreferendum vor sich hat, das bei Ablehnung sein politisches Ende bedeutet? Liegt es daran, dass Frau Merkel aus dem Umfragetief herauskommen will, um im nächsten Jahr noch einmal Kanzlerin zu werden? Und liegt es daran, dass Frankreich 2017 ein neues Staatsoberhaupt wählt und Herrn Hollande Madame Le Pen und der Neo-Napoleon Sarkozy im Nacken sitzen? Honi soit qui mal y pense, sagt der Franzose.

„Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen“

Was müsste also abseits der wahlpopulistischen Showeffekte von MHR passieren, um den europäischen Corpsgeist kräftig zu beflügeln? Zunächst muss man das wichtige Grundbedürfnis der EU-Bürger nach Sicherheit befriedigen, aber auch das Zutrauen in die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU steigern. Nach diversen Terroranschlägen ist hier viel Vertrauens-Geschirr zerschlagen worden. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Terrorabwehr nicht mehr nur national, sondern endlich grenzüberschreitend durchgeführt wird. Immerhin haben es die großen Drei versprochen. Versprochen darf nicht gebrochen werden.

Überhaupt, wie will Europa die Lösung der Flüchtlingskrise schaffen? Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass die Willkommenskultur in den meisten EU-Ländern sehr schwach ausgeprägt ist und ebenso schwach ausgeprägt bleibt. Umso wichtiger wird der eigene, gemeinsame Schutz der EU-Außengrenzen ohne sich auf externe und fragwürdige Partner verlassen zu müssen. Und wie sieht eigentlich die Bekämpfung von Fluchtursachen konkret aus? Grundsätzlich muss Europa aufhören – ähnlich wie beim Amen in der Kirche – nur immer wieder die gleichen Absichten zu bekunden, aber vor Handlungen zurückzuschrecken. Mit gesundbetender Verbalerotik ist noch kein Problem gelöst worden. Und die EU-Bürger verlieren mehr und mehr die Geduld.

Sozialismus ist keine Lösung für die Rest-EU

Das wichtigste Thema, das den EU-Bürgern unter den Nägeln brennt, sind die wirtschaftlichen Perspektiven. In Europa muss man nicht nur auf Griechenland schauen, um massive Konjunkturprobleme zu entdecken. Auch in La Grande Nation und Bella Italia wird man schnell fündig. Italien könnte sogar zu einem economic failed state werden. Und einen Vorgeschmack auf die politischen Kollateralschäden kann man in der italienischen Hauptstadt Rom erhalten, die mittlerweile von der Europa-feindlichen Fünf-Sterne-Bewegung regiert wird. In ganz Europa etabliert sich zunehmend die Meinung, Europa sei an allem schuld.

Tatsächlich sind die Politiker für die Malaise verantwortlich, die ihre Hausaufgaben nicht erledigen. Aus Angst vor dem Wählervotum meiden sie Wirtschaftsreformen, die zunächst sicher wehtun, bevor sie heilsam wirken. Aber ohne Fleiß kein Preis: Ein Land ist erst dann wirtschaftlich gesund, wenn die private Wirtschaft dort aufgrund guter Rahmenbedingungen freiwillig investiert. Dann kommen übrigens auch die Jobs.

Wenn diese vorausschauende Wirtschafts- und Finanzpolitik ausbleibt, ist man gezwungen, sich immer wieder auf den Staat zu verlassen, d.h. es werden neue Schulden für irgendwelche Konjunkturpakete gemacht. Eigentlich müsste die Happy Hour der Staatsverschuldung längst Wirtschaftsgeschichte sein. Denn die klare Lehre aus den Verschuldungsorgien der 70er-Jahre ist, dass der Staat abseits von Strohfeuern keinen vernünftigen Aufschwung in Industrie und bei Dienstleistungen einleiten kann, wenn als Gegenstück positive privatwirtschaftliche Rahmenbedingungen fehlen. Und dennoch setzt die Politik – stur wie 100 Esel – schon wieder auf dieses nachhaltig wirkungslose Instrument einer alleinigen Staatswirtschaft. Man tut es, um den Wählern kurzfristig Wundpflaster auf ihre sozialpolitischen Wunden zu kleben, damit sie zumindest vorerst nicht von der europäischen Fahne gehen.

Aber Moment, verbietet der Europäische Stabilitätspakt nicht eine zu hohe Staatsverschuldung? Theoretisch schon, aber Gummiparagraphen sind eben dehnbar und am dehnbarsten in Europa. Ich habe genau auf die Worte unserer Kanzlerin gehört, die auf der italienischen Insel Ventotene sagte, der Stabilitätspakt müsste flexibel angewendet werden. Konkret heißt das, wenn es dem Europäischen Zusammenhalt hilft, heiligt der Zweck die Mittel und die EU-Länder – wieso denke ich da gerade an Frankreich und Italien? – dürfen sich nach Herzenslust verschulden.

Spätestens jetzt wird klar, wie schmerzhaft der Abschied der Briten aus der EU wäre. Auf Ventotene habe ich den britischen Vertreter sehr vermisst. Denn dann hätte man statt eines Trios ein Quartett gehabt, das Waffengleichheit zwischen staatsgläubigen Schuldenanhängern (Frankreich, Italien) und reformbejahenden Marktwirtschaftlern (Großbritannien, Deutschland) hergestellt hätte. Doch leider steht es bei der zukünftigen europäischen Wirtschaftsausrichtung 2:1 gegen Deutschland. Die angeblich mächtigste Frau der Welt sieht hier ziemlich ohnmächtig aus.

Und damit hat die EZB ihre Rolle gefunden. In der Musik spricht man von einem Evergreen. Sie muss und wird den Schuldendeckel in der Eurozone immer und immer wieder bezahlen: Morgen, übermorgen, auf ewig!

Was heißt das für die Finanzmärkte?

So bleibt die Liquiditätshausse als Brot und Butter-Geschäft an den Finanzmärkten erhalten. Die Geldpolitik beherrscht die Aktienmärkte indirekt, da es für Zinspapiere keine Zinsen mehr gibt und auch zukünftig nicht mehr geben kann, ohne eine schwere Euro-Schuldenkrise auszulösen. Vermögensverwalter mit ihrem riesigen Anlagebedarf kommen an Aktien ebenso wenig vorbei wie Schwimmer an Wasser.

Offensichtlich spielen dabei die früher noch wichtigen Fundamentalargumente wie Wirtschaftswachstum und Unternehmensgewinne heute keine bedeutende Rolle mehr. Die Geldpolitik ist ein Killerargument. Ähnlich wie beim Lied „Major Tom“ von Peter Schilling könnte man fast sagen, Aktien sind fundamental „völlig losgelöst von der Erde“. Ja, steigende Aktienkurse und sogar neue Aktien-Allzeithochs in Europa sind gut möglich.

Nur mit heißer Luft – ohne fundamentale Substanz – verliert jedoch auch der europäische Aktienmarkt längerfristig seine Substanz. Dann werden ausländische Aktien attraktiver, deren Heimatländern das Reform-Gen noch nicht abhandengekommen ist. Das passiert zwar nicht heute oder morgen, aber übermorgen.

Ja, das waren schöne Bilder von MHR in Italien. Leider sieht ein Aufbruch zu neuen EU-Ufern anders aus. Immerhin, als Vorstände eines europäischen Industriemuseums haben sich die Drei wärmstens empfohlen.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

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Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de