Ist die EZB zur lahmen Ente geworden?

Die Bruderschaft der internationalen Geldpolitik hat seit der Immobilienkrise und in Europa nach der Finanzkrise alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Finanzwelt vor dem Ruin zu bewahren. Auch die EZB hat mittlerweile den Leitzins abgeschafft. Und das Niederregnen von Zentralbankgeld, mit dem Mario Draghi Staatspapiere aufkauft, erinnert an tropische Wolkenbrüche.

Die EZB hat erfolgreich gegen die Staatsanleihekrise geputscht

Da stellt sich die Frage, ob die EZB einen guten Job gemacht hat. Auf den ersten Blick „Ja“. Durch die geldpolitische Drückung der Schuldzinsen sind in vielen Euro-Ländern die Renditen der Staatspapiere sogar unter den Meeresspiegel, unter null gefallen. Die Bedienung der Staatsschulden ist ohne teure Zinsen und den unangenehmen Zinseszinseffekt mit wenig Mühe zu bewältigen.

Also ein Happy End wie im Märchen? Leider sagt der zweite Blick „Nein“. Es ist eher ein Alptraum. Die EZB hat an den Anleihemärkten Marktwirtschaft abgeschafft und Planwirtschaft eingeführt. Die Kursfeststellung von Staats- und mittlerweile auch Unternehmensanleihen orientiert sich nicht mehr an so „profanen“ Dingen wie Bonität, nationaler Reformpolitik oder Unternehmenserfolg, sondern nur noch am dicken Portemonnaie der Notenbank. Honecker hätte sich über so viel Neo-Sozialismus bei einer westlichen Notenbank gefreut wie ein Hund, dem man einen Knochen gibt. Er würde argumentieren, dass er es doch immer gewusst hat: Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.

Die Angst vor einer neuen Euro-Finanzkrise ist so groß, dass man die Zinsen ins Gefängnis gesteckt hat. Sie können nicht fliehen im Sinne von steigen. Nicht zuletzt soll sich damit ein Staat wie Italien günstig refinanzieren können, um schwindsüchtigen italienischen Banken den Kapital-Rollator zur Verfügung zu stellen.

Der Fluch der guten geldpolitischen Tat: Die alte Bankenkrise ist tot, es lebe die neue

Leider finden Banken diese finanzpolitische „Happy Hour“ eines zinslosen Kapitalismus gar nicht lustig. Dadurch geht den Banken ihr früheres Brot und Butter-Geschäft verloren: Das Zinsgeschäft – Geld günstig bei der Notenbank aufnehmen und zu höheren Konditionen als Kredit ausleihen oder grundsätzlich über Zinserträge – ist ausgetrocknet wie ein Tümpel nach sommerlicher Hitze.

Die Geschäftsabschlüsse der Banken unterstreichen diese Ertragsdürre deutlich. Ausgerechnet die geldpolitische Barmherzigkeit Mario Draghis ist schuldig, dass die eurozonalen Banken in die Ertragskrise geraten sind.

Darüber kann auch ein geschönter Bankenstresstest der EZB in der Eurozone nicht hinwegtäuschen. Von vornherein war doch klar, dass er keine bösen Botschaften vermitteln sollte. Ein hartes Deflationsszenario in Europa hatte man vermieden und ein zahmes gewählt, um das geneigte Bankpublikum bloß nicht zu verunsichern. Leider hat damit der Bankentest jedoch nur die Qualität einer Fahrtüchtigkeitsprüfung eines Gebrauchtwagens, der darin besteht, das verrostete Auto im ersten Gang vom Gelände des Händlers zu fahren.

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Auch den Sparern ist das Lachen vergangen. Denn immer noch basiert die Altersvorsorge der Deutschen zu über 75 Prozent auf Zinsanlagen. Damit wird sie zu einer tickenden Zeitbombe. Nicht umsonst fordert die Bundesbank zur Sicherung des Niveaus der Alterssicherung die Rente erst mit 69. Die heute noch sehr junge Generation kann sich schon einmal darauf einstellen, später erst ab 75 in Vorruhestand gehen zu können. Denn ansonsten haben unsere Nachkommen kein Auskommen mit ihrem Einkommen.

Insgesamt zahlen Banken und Anleger für die geldpolitische Rettung der Finanzmärkte einen viel zu hohen Preis.

Die eurozonale Wirtschaft reagiert auf die Geldpolitik der EZB wie der Hund auf Tofu

Und wie erfolgreich ist die EZB in der Realwirtschaft und bei der Bekämpfung der chronischen Deflation? Alles andere als olympisch, bestenfalls Kreisklassenniveau. Auch die Jubelkommentare über die Renaissance der Konjunktur der Eurozone – insbesondere im Süden – sollten wie heiße Brühe genossen werden, nur mit Vorsicht. Nach Jahren der Enttäuschung kam es hier zwar zu großen Basiseffekten, sprich relativ hohen Wachstumsraten. Doch muss zwischen relativ und absolut deutlich unterschieden werden. Es ist ähnlich wie bei einem italienischen Restaurant, das durch eine krisenhafte Konsumstimmung im Durchschnitt nur noch eine Pizza am Tag verkauft. Durch das Verirren eines Touristen verkauft dieses Restaurant an einem Tag plötzlich zwei. Relativ ist das zwar ein Umsatzwachstum von 100 Prozent, das aber absolut betrachtet nicht ausreicht, das Restaurant am Leben zu erhalten. Eine Schwalbe macht noch keinen nachhaltig schönen Sommer.

Die EZB wird extraordinär

Vor diesem Hintergrund ist es für die EZB wirkungslos, den Leitzins noch weiter zu senken. Ginge die EZB unter null würden sich für Banken die Ertrags- und für Sparer die Anlageprobleme nur noch vergrößern.

Genauso wenig Sinn macht es, noch mehr Anleiheaufkaufprogramme aufzulegen. Die Wirksamkeit der bisherigen Programme ist verpufft, bevor es konjunkturell überhaupt „Peng“ gemacht hat. Wer in Europa bis jetzt keinen Kredit zu den aktuellen Schlaraffenland-Konditionen vergeben oder haben will, wird es auch nicht bei 0,2 Prozentpunkten Kreditzins weniger tun. Dazu fehlt den meisten eurozonalen Wirtschaftsstandorten einfach der reform- und investitionsfreundliche Nährboden, die blühenden Landschaften. Niemand kommt auf die Idee, Wassermelonen in der Wüste anzubauen. Vor diesem Hintergrund denken kapitalschwache Banken zu allerletzt an neue Kredite, die sie mit Eigenkapital unterlegen müssen, das sie aber nicht haben.

Bezogen auf die normalen Werkzeuge hat die EZB also – Neu-Deutsch formuliert – „geloost“. Daher rücken jetzt notgedrungen neue Instrumente – gemäß dem Motto „Neue Besen kehren gut“ – in den Mittelpunkt. Konjunkturbelebung ist dringend erforderlich, um das soziale Wohlbefinden zu heben und um damit dem Abgleiten der Wähler in extreme Lager entgegenzuwirken.

Helikopter-Geld als allerletzter Rettungsanker

Die Geldpolitik ist gezwungen, ihre realwirtschaftliche Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, um an den Finanzmärkten nicht als angezählter Boxer zu gelten, der keine Schlagkraft mehr besitzt. Das wäre ein Armutszeugnis.

Hat die EZB also noch Möglichkeiten, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln? Wenn alle, wirklich alle Stricke reißen, wird man zwar an „Helikopter-Geld“ denken. Das bedeutet, dass sprichwörtlich Säcke an Geld-Gutscheinen vor den Haustüren der Konsumenten mit der Bedingung abgeworfen werden, dieses zügig in einem bestimmten Zeitraum auszugeben, da sie ansonsten verfallen. Diesen Gefallen würden wir der EZB dann  sicherlich tun.

Doch käme es dann zu fatalen Abhängigkeiten wie bei Drogensüchtigen. Die volkswirtschaftlichen Akteure würden sich an die Geschenke der EZB wie verzogene Kinder gewöhnen und beim kleinsten konjunkturellen Problem den nächsten Geldabwurf vom Helikopter einfordern. Diese Methode „Freibier für alle“ würde dem Müßiggang und der Zerstörung des Leistungsprinzips Tür und Tor öffnen, die man nicht mehr schließen könnte. Überhaupt, wenn eine Notenbank gemäß ihrem Auftrag den Wert von Geld schützen soll, dieses einfach verschenkt, ist nicht zu erwarten, dass Geld seinen Wert behält. An seine Stelle könnten irgendwann Gold und Realtausch treten und dann hat Geld erst recht als Währung ausgedient.

New Deal – Die EZB wird zum direkten Staatsfinanzierer

Die EZB wird eine andere, aber ebenso ungewöhnliche Strategie verfolgen. Sie wird zum direkten big spender der Euro-Staaten und ihrer konjunkturfördernden Wirtschaftspolitik. Infrastruktur- und Bildungsmaßnahmen, Steuersenkungspakete und Haushaltslöcher werden von der EZB ohne Umweg über aufmerksame und kritische Finanzmärkte, also auf direktem Weg, fast unmerklich finanziert. Man kann jetzt mit Recht einwenden, dass diese Maßnahmen völlig außerhalb des Mandats der EZB sind. Doch zeigte Europa bislang wenig Skrupel bei Regelverletzungen. Warum sollte man also die Regel der Regelverletzung brechen? Ich bin mir sicher, was die Politiker der so begünstigten Staaten hinter vorgehaltener Hand denken: Der konjunkturelle und sozialpolitische Zweck heiligt alle geldpolitischen Mittel.

Die EZB steht am Ende ihrer konventionellen, aber erst am Anfang ihrer unkonventionellen Möglichkeiten. Sie glauben das nicht. Stimmt, niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.

Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de