Der Sommer 2016 – An den Finanzmärkten wird er nicht heiß

Ohne Zweifel ist die Lage an den Finanzmärkten nicht krisenbefreit. Allein die politischen Konflikte stellten normalerweise große Unsicherheitsrisiken dar. Dennoch sind die Beine der politischen Börse zunächst kurz.

Der Brexit geht lange, sehr lange in die Sommerpause

Während die neue Premierministerin May den Briten kein Austrittsergebnis mit deutlichen Wohlstandseinbußen präsentieren kann, darf die EU den Briten keinen Deal anbieten, der ihren Austritt noch belohnt und zu Nachahmeffekten führen könnte. Also spielen beide Seiten auf Zeit, die auch alle politischen Wunden heilt: Bis der britische Austrittsantrag eingegangen ist und die rechtlichen Herausforderungen in puncto Zugang zum EU-Binnen- und Finanzmarkt bewältigt sind, hat der Brexit so viel an medialer Präsenz verloren, dass sein politisches Schadenspotenzial für die EU vernachlässigbar ist. Und am Ende wird ein Rechtsrahmen stehen – das Motto in der EU lautet „Was nicht passt, wird passend gemacht“ – der auch zukünftig eine sehr enge Wirtschafts-Zweckehe zulässt.

Nach dem Brexit-Votum werden zwar erste Konjunkturbedenken laut: Der IWF sieht Verbraucher- und Investorenvertrauen durch die politische Unsicherheit belastet und stutzt seine Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft. Mit 3,1 (zuvor 3,2) in diesem und 3,4 Prozent (zuvor: 3,5) im nächsten Jahr hält sich die Skepsis jedoch in engen Grenzen. Doch selbst wenn theoretisch größere konjunkturelle Verwerfungen auftreten sollten, wird durch die EZB hüben und die Bank of England drüben finanzwirtschaftlichen Kollateralschäden praktisch massiv entgegengewirkt.

Ein britischer Aktienleitindex FTSE 100 aktuell auf Jahreshoch bei geläuterter Volatilität zeugt von großer Entspanntheit der Anleger.

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Substanz spricht für deutsche Aktien

Einerseits ist politische Verunsicherung – die realwirtschaftlich streut – ein Handicap für industrie- und exportlastige deutsche Aktien. Andererseits können genau diese Titel längerfristig als Alternative von einem mit Unsicherheit behafteten britischen Finanzplatz profitieren. Aussichtsreich sind vor allem Titel aus MDAX und SDAX, die im Ausland bewundernd „German Mittelstand“ genannt werden. Sie profitieren von ihrem breiten Industrie-Know How und zahlreichen Patenten im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung der Weltwirtschaft, der sogenannten „Industriellen Revolution 4.0“. Da die Selbstentwicklung der hierfür erforderlichen Schlüsseltechnologien in anderen Ländern zu aufwendig ist bzw. zu viel Zeit in Anspruch nimmt, kommt deutschen Industrieperlen Übernahmephantasie zugute.

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US-Aktien als sicherer Hafen

Die USA bleiben von politischen Krisen weitgehend verschont. Sie haben den Status eines sicheren Hafens. Daneben profitiert Amerika von einem marktwirtschaftlichen, wettbewerbsfreundlichen Nährboden für Investitionen, der in anderen Industrieregionen wie Japan oder Europa fehlt und daher selbst deren üppigste geldpolitische Düngung konjunkturell weitgehend wirkungslos macht. Unterstützend für US-Aktien wirkt zudem das Ende der Zinswende als bisheriges Damokles-Schwert. Die Fed weiß, dass weltwirtschaftlich und zur Verhinderung von Folgeschäden aus der Brexit-Krise bzw. aus der Normalisierung der Wachstumsraten in den Schwellenländern keine weiteren Zinsrestriktionen möglich sind. An den Derivatemärkten zeigen sich die spekulativen Finanzanleger mit dem Ausbau ihrer Netto-Long-Positionen bereits deutlich risikofreudig. Diese positive Einschätzung unterstreicht der S&P 500 mit einem historischen Höchststand.

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Wenn alle ihre Währungen schwächen, wird keine wirklich schwach

Zur exportseitigen Wettbewerbsverbesserung der Eurozone hat die EZB ihr Aufkaufprogramm auch auf Unternehmensanleihen ausgeweitet und könnte zur Eindämmung der Bankenkrise bald Bankanleihen oder sogar notleidende Kredite aufkaufen. Denn das verringert die Attraktivität von hiesigen Zinspapieren gegenüber denen anderer Anlageregionen. Diesem Unterfangen werden andere exportstarke Länder jedoch nicht tatenlos zusehen. Im Rahmen eines internationalen Währungsabwertungswettlaufs setzen sie mit erhöhten Anleiheaufkaufprogrammen und Niedrigzinspolitik ebenso auf Exportbegünstigung. Mittlerweile haben selbst die USA die Vorteile des Exports erkannt. Sie haben kein Interesse, den Dollar über eine weitere Leitzinswende zu stärken. Da nachhaltig keiner gewinnt, wenn alle ihre Währung zu schwächen versuchen, ist keine dramatische Abwertung des Euros zu erwarten, solange eine nachhaltig schwere politische Krise in der EU ausbleibt.

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Aktiensparpläne – Banal, aber auch genial

Vor dem Hintergrund latent vorhandener Krisenfaktoren dürften Kursschwankungen an den Aktienmärkten – wenn auch nicht dramatisch – wieder zunehmen. Mit z.B. Discount- und Bonuszertifikaten bzw. Aktienanleihen lassen sich Teilabsicherungen gegen zwischenzeitliche Börsenverluste günstig darstellen. Allerdings schreit das Auf und Ab an den Aktienmärkten förmlich nach Aktiensparplänen, am besten auf Indices, um das Einzelwertrisiko zu mildern sowie regelmäßig, um das Risiko größerer einmaliger Anlagen zu umgehen. Dann kommen die Anleger in den Genuss der Kraft der zwei Herzen.

Bildquelle: dieboersenblogger.de

Aktiensparpläne – Banal, aber auch genial

Erstens, bei steigenden Kursen erhält man zwar weniger Aktienanteile, dafür nimmt man jedoch die Kurssteigerungen mit. Und wenn zweitens die Aktienkurse zwischenzeitlich fallen, erhält man bei gleichbleibendem Sparplan mehr Aktienanteile. Bei wieder steigenden Kursen macht sich dann das kaufmännische Motto „Im Einkauf liegt der Gewinn“ positiv bemerkbar. Aktiensparpläne sind eine Altersvorsorge für alle.

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Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung – Krisen als Fata Morganas

Die ZEW Konjunkturerwartungen fallen mit minus 6,8 nach zuvor 26 dramatisch auf den niedrigsten Stand seit November 2012. Normalerweise wäre das ein die Finanzmärkte schockierendes Konjunkturereignis. Doch sollten diese Indexzahlen nicht als Signal für eine bald deutlich schwächere Konjunktur überbewertet werden. Denn zunächst tendieren die vom ZEW befragten Finanzanalysten regelmäßig dazu, die Folgen von Ereignissen finanzwirtschaftlicher Natur – siehe italienische Bankenkrise – bzw. politischen Ursprungs – Brexit – auf die Realwirtschaft zu überschätzen. So weichen die Analysten in puncto ZEW Konjunkturerwartungen im Gegensatz zu den ifo Geschäftserwartungen – bei denen Unternehmen aus dem konjunktursensitiven Verarbeitenden Gewerbe direkt befragt werden – deutlich negativ ab. So ist für die ifo Geschäftserwartungen im Monat Juli lediglich ein leichter Rückgang nach fünf Anstiegen in Folge zu erwarten. Ohnehin hat aber auch der fundamentale Hintergrund in unserer „modernen“ Finanzwelt an Aktienkurs beeinflussender Bedeutung verloren. Besonders robuste Konjunkturdaten könnten sich sogar als kontraproduktiv erweisen, da sie die Notwendigkeit der geldpolitischen Vollalimentierung reduzierten und die Liquiditätshausse Auftrieb kosten würde.

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Damit verbunden sind die abgeweideten Renditewiesen im Bereich Zinsvermögen, die sich mit teilweise sogar negativen Renditen nicht als Parkgelegenheit für Anlagegelder anbieten.

Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 – Die Hürden werden höher

Wird charttechnisch im DAX die erste Unterstützung bei 9.984 Punkten unterschritten, dürfte die Auffangzone zwischen 9.819 und 9.753 angesteuert werden. Die Unterschreitung der knapp darunter liegenden, noch nicht geschlossenen Kurslücke zwischen 9.690 und 9.656 würden die Chance auf eine Fortsetzung der DAX-Rallye deutlich verschlechtern. Sollte der DAX auf dem Weg nach oben die Hürde bei 10.123 Punkten dynamisch überwinden, werden die nächsten Widerstände bei 10.340 und 10.485 in Angriff genommen. Darüber liegt die nächste Hürde am seit April 2015 bestehenden Abwärtstrend bei 10.560 Punkten.

Im Euro Stoxx 50 liegt die erste nennenswerte Unterstützung bei 2.904 Punkten. Darunter wartet bei 2.850 die nächste Auffanglinie, der eine weitere bei rund 2.800 folgt. Auf dem Weg nach oben liegt eine Mauer aus Widerständen bei zunächst 2.990 und darüber 3.025 Punkten, gefolgt von weiteren Barrieren zwischen 3.062 und 3.137 sowie 3.156.

Der Wochenausblick für die KW 30 – Zahm, Zahmer, Fed

In Japan wird die Bank of Japan ihre Liquiditätsoffensive als Absatzgarantie für Staatsanleihen und zur Finanzierung von auch infrastrukturellen Konjunkturpaketen verstärken.

In den USA zeichnen ein stabiles Konsumentenvertrauen der University of Michigan und stabilisierte BIP-Zahlen für das zurückliegende II. Quartal bei erneut rückläufigen Auftragseingängen für langlebige Güter und einem wieder schwächeren Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe der Region Chicago ein gemischtes Bild der US-Wirtschaft, dass insgesamt nicht geeignet ist, Zinserhöhungsangst aufkommen zu lassen.

Die Eurozone sieht sich gemäß blutleerer BIP-Zahlen für das II. Quartal bei erneut schwachen Inflationsschätzungen für Juli anhaltendem Deflationsdruck ausgesetzt.

In Deutschland bleibt mit Spannung abzuwarten, ob sich das Brexit-Votum in den ifo Geschäftsklimadaten widerspiegelt. Die deutsche Binnenwirtschaft zeigt sich laut GfK Konsumklimaindex und Einzelhandelsumsätzen weiter stabil.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.

Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen