Chinas „Leid“ mit seinen zu hohen Devisenreserven darf nicht unser Schaden sein

Die Chinesen sind reich an Devisenreserven. Es waren zwar schon mehr, aber mit aktuell 3,2 Billionen US-Dollar ist das Land der Mitte der unbestrittene Devisenweltmeister. Diese Reserven zeugen von robusten Exportüberschüssen, die zu Forderungen gegenüber den Ländern führen, die Exportdefizite haben.
kw 23 - DevisenreservenDiese Forderungen werden vor allem in Form von Staatsanleihen der Defizitländer gehalten, mehrheitlich aus den USA. Diese Staatspapiere waren lange Zeit ein gutes Geschäft: In den normalen Zinszeiten bis etwa 2011 konnte China jährlich ca. 150 Mrd. US-Dollar an Zinsen vereinnahmen. Heute, in unserer masochistischen Zins-Zeit, sind es deutlich weniger als ein Drittel.

Diese Zins-Schonkost ist China längst ein Dorn im Auge. Mit Blick auf das Ende der chinesischen Wachstums-Happy Hour ist man bei der KP in Peking für jeden Cent Staatseinnahmen dankbar, den man zur Stützung der Konjunktur einsetzen kann.

Devisenreserven – Eigentlich schön, aber…

Leider kann China mit dem Pfund Devisenreserven auch geostrategisch nicht so wuchern wie früher. Damals konnte Peking der Supermacht USA noch damit drohen, bei amerikanischem Fehlverhalten US-Schuldtitel auf die Anleihemärkte zu werfen wie Plunderware auf die Wühltische beim Sommerschlussverkauf. Das hätte stark fallende US-Anleihekurse und deutlich steigende Zinsen nach sich gezogen. Dann wäre Schulden-Amerika auf dem falschen Fuß erwischt worden. Denn die USA sind, was Staatsschulden machen betrifft, kein Kind von Traurigkeit. Im Gegenteil, es geht hochgradig lustig zu wie bei „Lachen Sie mit Stan und Ollie“. Wenn Barack Obama sein Amt im Januar 2017 an Frau H. bzw. Herrn T. übergibt, wird er die zu seinem Amtsantritt vorgefundene Verschuldung seit Staatsgründung 1776 von gut 10 Billionen US-Dollar fast verdoppelt haben. In dieser Disziplin ist er der „erfolgreichste“ US-Präsident aller Zeiten.

Doch diese chinesische Drohkulisse ist längst dem amerikanischen Pragmatismus zum Opfer gefallen. Glaubt denn irgendjemand, dass die US-Notenbank mit ihrer Präsidentin Janet „Mutter Theresa“ Yellen bei einem chinesischen Massenverkauf von US-Staatspapieren zögern würde, die Finanz-Ehre Amerikas zu schützen? Sie würde die feil gebotenen Staatsanleihen aufsaugen wie ein Schwamm das Wasser. Eine ganze Handelsabteilung bei der Fed beobachtet ständig wie ein Raketenabwehrsystem, ob finanzpolitisches Ungemach auf die USA zukommt. Wenn es sein muss, wird im Handumdrehen ein neues Anleiheaufkaufprogramm – dann Quantitative Easing 4 – gestartet.  Jedes chinesische Streben, Amerika erfolgreich an seiner Schuldenfront zu attackieren, ist genauso zum Scheitern verurteilt wie der Versuch, das Nordpolarmeer mit einem Tauchsieder zum Badeparadies zu machen.

Überhaupt, bei den in Staatspapieren gehaltenen Devisenreserven gibt es auch noch ein Systemrisiko. Kann man in unserer völlig überschuldeten Finanzwelt längerfristig wirklich ausschließen, dass es zu einer Neubewertung von Anleihen kommt, die auch zu einem weltweiten Währungsschnitt wie 1948 in Deutschland führen könnte? Dann müsste sich China eingestehen, dass es im Austausch für harte Ware nur viele bunte ausländische Staatspapiere vor allem aus den USA bekommen hat, deren Wert nur noch Brennwert ist. Wer hat all die Jahre dann den besseren Deal gemacht?

Ja, China muss sich wirklich fragen, ob seine riesigen Devisenreserven Segen oder doch Fluch sind.

China schickt die sachkapitalistischen Einkäufer los

Vor diesem Hintergrund will China die Risiken seines Auslandsvermögens reduzieren: Renditeschwaches Anleihevermögen soll in höherrentierliche Anlageklassen umgeschichtet werden.  Grundsätzlich will China mehr Sachkapital wagen. Und so geht das Land weltweit auf Shopping Tour. So ist der renommierte Fußballverein Inter Mailand bald in chinesischer Hand. Ebenso steht der kleine Flughafen Frankfurt-Hahn auf der Einkaufsliste.

Neben einer neuen Anlagestrategie geht es China aber gleichzeitig darum, die Herausforderungen der Digitalisierung der Weltwirtschaft, die sogenannte „Industrielle Revolution 4.0“, erfolgreich zu bestehen. Dazu bedarf es zukunftsträchtiger Schlüsseltechnologien, deren Selbstentwicklung im Land der Mitte jedoch zu lange dauern würde. Aber warum sich selbst bemühen, man kann das benötigte Industrie-Know How doch auch kaufen.

Nichts ist in der Industriewelt so sexy wie der deutsche Mittelstand

Und wo findet man diese industriellen Objekte der chinesischen Begierde? Richtig, bei den deutschen Industriejuwelen insbesondere aus der zweiten Reihe, dem deutschen Mittelstand, der mit seiner Spitzentechnologie weltweit in vielen Bereichen die Nase vorn hat. In angelsächsischen Kreisen spricht man nicht umsonst respektvoll, ja geradezu liebevoll vom „German Mittelstand“. Dieser Begriff ist längst zu einem Markennamen geworden. Nicht zuletzt verfügen diese Unternehmen in Deutschland weltweit über die meisten und wertvollsten Industriepatente. Diese Firmen sind sexy und natürlich bleiben ihre Reize auch den chinesischen Einkäufern mit ihren Anlagenotständen nicht verborgen. Und sie haben seit Jahresbeginn bereits zugeschlagen: Der Maschinenbauer Manz, das Müllunternehmen EEW Energy oder der Spezialmaschinenbauer Krauss Maffei haben mindestens chinesische Großaktionäre.

Und das ist erst der Beginn einer großen Einkaufsleidenschaft, die den Vergleich mit Draghis Kaufrausch bei Anleihen nicht zu scheuen braucht. Die Chinesen wollen sich einen ganzen Harem an zukunftsträchtigen deutschen Unternehmen zulegen. Und diese Übernahmephantasie erklärt auch die stramme Outperformance von MDAX bzw. SDAX zum deutschen Leitindex DAX seit 2015.
kw 23 - MDAX und SDAX zum DAXChina will raus aus der old und rein in die new economy

China geht es um die Modernisierung seiner Volkswirtschaft, die aus den Kinderschuhen der klassischen (Schwer-)Industrie und Exporten entwachsen soll und nun eine Metamorphose zu Dienstleistungen, Konsum und Technologie durchlaufen muss, um längerfristig erfolgreich zu bleiben.

Viele chinesische Unternehmen – vor allem Staatskonzerne – haben zu viel Fett angesetzt, sind ineffizient und konkurrenzunfähig oder stehen sogar vor der Pleite. Um ihnen Frischblut zuzuführen, sollen sie weltweit expandieren, am liebsten im zukunftsträchtigen deutschen Mittelstand. Und so kauft man sich nicht nur neue Kunden und Absatzmärkte ein. Es geht genauso um den Aufkauf von Industrie-Know How und Innovationsfähigkeit, die man dann nicht mühselig selbst aufbauen muss. So will Peking aus seinen Unternehmen Global Player machen, die wettbewerbsfähig sind und industriell sogar den Ton angeben. Der Markenname Made in China soll Made in Germany ab 2025 ablösen. Bestes Beispiel ist das chinesische Haushaltsgeräteunternehmen Midea, das bislang Kühlschränke, Haartrockner, Reiskocher oder Klimaanlagen baut. Diese Produkte kann man in jeder Ecke der Welt nachbauen. High Tech ist das sicher nicht. Insofern kann man das Interesse Mideas am innovativen deutschen Roboterbauer Kuka mit seiner Schlüsseltechnologie verstehen.

Droht der deutschen Wirtschaft die „gelbe Gefahr“?

Was für China toll ist, muss für uns nicht auch toll sein. Hat der deutsche Wirtschaftsstandort ein Problem, wenn aus Made in Germany immer mehr Owned by China wird? Ich bin ein großer Anhänger von freiem Handel und gegen nationale protektionistische Tendenzen. Aber dieses hohe Lied der Liberalität darf nicht von Deutschland allein gesungen werden, es muss ein internationaler Chor sein, der auch chinesische Sänger beheimatet. Leider höre ich diese globale Stimmgewalt nicht laut genug und mein Hörsinn ist gut. China ist laut Studien nicht gerade zimperlich, wenn es darum geht, Übernahmen chinesischer Unternehmen durch ausländische Firmen zu behindern bzw. europäische und deutsche Konkurrenz im Land der Mitte zu benachteiligen.

Daher darf sich die deutsche Wirtschaftspolitik und die mächtigste Frau der Welt bei der Verteidigung deutscher Wirtschaftsinteressen durchaus offensiver zeigen. Dazu gehört auch z.B. die Vermittlung eines deutschen Gegenangebots für Kuka. Auch in anderen Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den USA ist der Schulterschluss von Politik und Unternehmen zu beobachten.

Es kann nicht sein, dass wir weiter wie in der Vergangenheit nur „treudoof“ zuschauen, wenn Unternehmen mit ihren gesamtwirtschaftlich bedeutenden Schlüsseltechnologien – siehe Hoechst oder Mannesmann – an ausländische Investoren verscherbelt werden, die deutsches Industrie-Know How so ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Wir müssen auch die Möglichkeit der industriellen Gegenoffensive haben, z.B. über Zukäufe im Ausland. Gleiches Wirtschafts-Recht für alle! Keine Toleranz gegenüber ausländischer Freihandels-Intoleranz.

Unsere Aufgabe ist es nicht, den Chinesen bei der Lösung ihrer Devisenprobleme und dem zukunftsträchtigen Umbau ihrer Volkswirtschaft zu helfen. Viele Grüße nach Berlin!

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.

Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de