Noch vorhandene Aktien-Barrieren werden geräumt

Mit Wechselstrom-artiger Zinserhöhungsrhetorik „Wir erhöhen die Leitzinsen, wir erhöhen sie nicht“ haben die US-Notenbanker lange Zeit für viel Unruhe an den Finanzmärkten gesorgt. Nun mehren sich die Anzeichen, dass der US-Leitzins auf der nächsten Notenbanksitzung am 15. Juni 2016 vor allem als Beweis für ihre geldpolitische Unabhängigkeit erhöht wird. Doch signalisieren die Rohstoffmärkte anhand ihrer relativen Stärke, dass die Fed sich anschließend in zinspolitischer Zurückhaltung übt. Trotz einem Achtungserfolg sollte die Konjunkturstimmung in Deutschland den DAX dennoch weniger beflügeln. Immerhin werden durch den politischen Zeitgewinn eines wenn auch stinkend faulen Schuldenkompromiss für Griechenland und Umfragen, die auf einen Verbleib Großbritanniens in der EU hindeuten, politische Aktien-Hindernisse überwunden.

Seit Mitte Mai zeigt sich an den Derivatemärkte für Fed Funds Futures ein sprunghafter Anstieg der Wahrscheinlichkeiten für Zinserhöhungen. Laut Finanzdatenanbieter Bloomberg liegen diese für die kommende Fed-Sitzung am 15. Juni 2016 bei 34 (zuvor vier) Prozent sowie im September bis Jahresende zwischen rund 60 und 80 Prozent (zuvor 34 bis 53).

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An den Devisenmärkten spiegelt sich diese Einschätzung in Form einer erneuten US-Dollar-Aufwertung wider. Die Währungen der Schwellenländer verloren gegenüber US-Dollar zuletzt wieder an Stabilität. Ein ebenfalls zur Schwäche neigender Euro dient zumindest psychologisch als Argument für die exportsensitiven Aktienmärkte der Eurozone, speziell Deutschland.

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Die Fed lässt die Katze aus dem Sack

Grundsätzlich spricht die im historischen Vergleich verhaltene und inflationsarme, nationale und Weltkonjunktur, aber auch die ansonsten bestehende Gefahr einer investitionsfeindlichen Kapitalflucht aus den Schwellenländern in die USA zwar weiterhin nicht für eine weitere Zinserhöhung.

Zur Aufrechterhaltung ihrer geldpolitischen Glaubwürdigkeit und auch nach ihrer zuletzt deutlich falkenhafteren Zinsrhetorik dürfte die Fed allerdings die Notenbanksitzung am 15. Juni 2016 als Gelegenheit nutzen und ihren Worten auch Taten folgen lassen. Sie würde damit zumindest klare Fakten an den Finanzmärkten schaffen, die durch die Schaukelrhetorik von Frau Yellen seit ihrem Amtsantritt irritiert wurden. Nach Vollzug der Zinserhöhung wird sie jedoch Beruhigungspillen verteilen, die eine Wiederholung früherer, strikter Zinserhöhungszyklen ausschließen. Entsprechende Signale hierfür könnte der „Dot Plot“, also die Zinserwartungen der Fed-Mitglieder aussenden.

Kein Ende der Rohstofferholung

Vor diesem zahmen Zinshintergrund findet auch die Erholung bei Rohstoffen kein jähes Ende. Der historische Zusammenhang, wonach eine scharfe zinserhöhungsbedingte Aufwertung des US-Dollars eine ebenso markante Korrektur der Rohstoffnotierungen – sie entwickeln sich gegenläufig – nach sich zieht, hat an Kraft verloren.

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Zwar haben die Ölpreise zuletzt etwas nachgegeben, nachdem die Waldbrände in der kanadischen Ölprovinz Alberta und damit die Angebotsunterbrechungen in Nordamerika wieder weitestgehend unter Kontrolle sind. Dennoch nimmt der zugrundeliegende Erholungstrend bei Rohöl dadurch keinen Schaden. Laut International Energy Agency (IEA) nimmt das Öl-Angebot außerhalb der OPEC wegen der spürbar rückläufigen US-Ölproduktion deutlich ab, während sich die weltweite Öl-Nachfrage robust zeigt. Diese Entwicklung spricht in der zweiten Jahreshälfte für ausgeglichene Rohölmärkte und damit eine zumindest widerstandsfähige Preisbefestigung selbst ohne eine Einigung der OPEC auf Förderobergrenzen im Rahmen ihres nächste Woche anstehenden Treffens. Die weltkonjunkturelle Kaufkraft der Rohstoffländer bleibt insgesamt stabil.

Deutsche Aktien fundamental noch mit Ladehemmungen

Die Finanzanalysten des ZEW stellen der deutschen Wirtschaft in puncto Konjunkturerwartungen nur ein wenig dynamisches Zeugnis aus. Immerhin sind die ifo Geschäftserwartungen zuletzt mit einem Indexwert von 101,6 das dritte Mal in Folge gestiegen und haben einen positiven Trend ausgebildet. Von früheren Hochständen sind die Geschäftserwartungen allerdings noch weit entfernt.

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Grundsätzlich sollte das Wirtschaftswachstum im I. Quartal zum Vorquartal von 0,7 Prozent (auf Jahresbasis 1,6 Prozent) – und damit der stärkste Anstieg seit zwei Jahren – nicht überschätzt werden. Das Gleiche gilt für die 2016 aufgehellten Wachstumsprojektionen der Deutschen Industrie- und Handelskammer von 1,3 auf 1,5 Prozent. Sie sind maßgeblich auf die geldpolitisch äußerst günstigen Zinszustände zurückzuführen, die Zinssparen zum „Masochismus“ und Kreditaufnahmen attraktiv machen. Von dieser künstlichen Konjunkturbefruchtung profitierten die volkswirtschaftlichen Nachfragesegmente Konsum und Bau.

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Angesichts der beispiellos niedrigen Kreditzinsen hätte Deutschland auf Jahresbasis jedoch um mindestens zwei Prozent zulegen müssen. Dem stehen als Handicaps jedoch schwache Unternehmensinvestitionen und ein verhaltenes Exportumfeld im Wege. Die Schwellenländer wachsen verhaltener und auch die USA haben sich von früher deutlich robusteren Wirtschaftswachstumsraten verabschiedet. Und dennoch, auch wenn der weltkonjunkturelle Kuchen kleiner wird, muss Deutschland wirtschaftspolitisch alles tun, um sich die besten Stücke zu sichern. Das heißt, Reformen zur Verbesserung der Infrastruktur und der deutschen Standortfaktoren insgesamt sind dringend zu ergreifen. Die aktuell praktizierte Nachlässigkeit muss zügig aufgegeben werden, denn der Prozess der Digitalisierung, der in den USA und Asien längst stattfindet, bedroht auch unsere Vorzeigebranchen in der Industrie.

Sich lediglich auf die Position zurückzuziehen, dass Deutschland immerhin wirtschaftlicher Europameister ist, befriedigt nicht. Man muss über den europäischen Tellerrand hinwegschauen. Mit Verlaub, unsere wirkliche Konkurrenz sitzt in Übersee. Das ist unsere starke Konkurrenz. Für Deutschland kann es nur das Ziel „Industrie-Weltmeisterschaft“ geben. Dann kann der deutsche Aktienmarkt sogar einen unabhängigen Aufwärtstrend erreichen.

Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung – Der Brexit bleibt ein theoretischer Elefant im Porzellanladen der Finanzmärkte

Ein Brexit würde die strukturellen Risse im politischen Gemeinschaftswerk der EU deutlich offenbaren. Nicht zuletzt verlöre die EU einen starken Protagonisten für Marktwirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit und auch an geostrategischer Bedeutung. Mittel- bis langfristig wären diese verschlechterten Rahmenbedingungen auch ein Damoklesschwert für europäische Aktien. Laut Durchschnitt vieler Umfragen – die vom Datenanbieter Bloomberg angeboten werden – werden aktuell 50 Prozent der Briten für den Verbleib in und 38 Prozent für den Austritt aus der EU stimmen. Grundsätzlich hat es die Politik der EU ein gutes Stück weit selbst in der Hand, den Befürworten eines „Bremain“ über eine strikte Terrorbekämpfung vor allem im Rahmen der anstehenden Fußball-Europameisterschaft und eine EU-gemeinschaftliche Lösung der Flüchtlingskrise Wasser auf ihre Mühlen zu leiten. Immerhin, die griechische Schuldendramatik ist mit einem üblichen europäischen Husarenstück, das zumindest einen Zeitgewinn verspricht – da die Frage des Schuldenschnitts auf 2018 vertagt wurde – zunächst befriedet.

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Geht der Kelch des Brexit an den Finanzmärkten vorbei, setzt sich bei Anlegern die Einschätzung einer homöopathischen Leitzinsentwicklung in den USA fort, bricht die aktuell noch durchaus vorhandene Aktien-Skepsis auf. Sollte die verbesserte Stimmung auch positiven Niederschlag in der Weltkonjunktur finden, gibt es zum Sommer sogar ein sogenanntes „upside risk“, ein „Aufwärts-Risiko“.

Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 – Der Widerstand bei 10.250 DAX-Punkten ist markant

Charttechnisch gilt es im DAX, auf dem Weg nach oben die untere Begrenzung des Aufwärtstrendkanals bei 10.250 Punkten zu durchbrechen. Auf der Unterseite liegen erste Unterstützungen bei 10.128 und 10.080. Schließt der DAX deutlich unter der Unterstützung bei 9.753, dürften die nächsten Auffanglinien bei 9.498 und 9.332 angesteuert werden. Darunter bietet die noch nicht geschlossene Kurslücke zwischen 9.079 und 8.967 Punkten Halt.

Im Euro Stoxx 50 liegt der nächste Widerstand auf dem Weg nach oben am Anfang Mai durchbrochenen Aufwärtstrend bei derzeit 3.061, gefolgt von weiteren bei 3.106 und 3.137 Punkten. Werden auf der Unterseite hingegen die Unterstützungen zwischen 2.990 und 3.000 und schließlich 2.893 durchbrochen, müssen weitere Abgaben bis zunächst 2.860 und darunter bis rund 2.800 ins Kalkül gezogen werden. Darunter gibt eine noch nicht geschlossene Kurslücke zwischen 2.786 und 2.756 Punkten Halt.

Der Wochenausblick für die KW 22 – Wie viel Munition liefert die US-Konjunktur für eine Leitzinserhöhung im Juni?

Die OPEC wird auf ihrem bevorstehenden Treffen am 2. Juni 2016 wohl zu keiner Einigung in puncto Obergrenzen zur Rohöl-Förderung gelangen.

In China unterstreichen der erneut – wenn auch nur minimal – schwächere offizielle als auch der vom privaten Finanzdatenanbieter Caixin veröffentlichte Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe die auf Nachhaltigkeit setzende, weiterhin verhaltene Konjunktursituation.

In den USA signalisieren verbesserte Konsumentenausgaben im April sowie eine Aufhellung des vom Conference Board ermittelten Verbrauchervertrauens Stabilisierungstendenzen beim Konsum. Der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor deutet ebenfalls auf eine Stimmungsverbesserung hin, während die harten Auftragseingänge in der Industrie diese jedoch noch nicht nachvollziehen. Der ebenfalls veröffentlichte Arbeitsmarktreport sowie der Konjunkturbericht der Fed werden vor der US-Notenbanksitzung am 15. Juni auf ihr Zinserhöhungspotenzial geprüft.

In der Eurozone suggeriert die Inflationsschätzung für Mai einen ungebrochenen Deflationsdruck und auch das von der EU-Kommission ermittelte Wirtschaftsvertrauen bleibt unbefriedigend. Entsprechend dürfte die EZB auf ihrer nächsten Sitzung die konjunkturellen Abwärtsrisiken benennen, ohne jedoch weitere geldpolitische Maßnahmen zu beschließen.

In Deutschland lassen verbesserte Einzelhandelsdaten auf einen weiterhin stabilen Konsum schließen.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.

Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de