Die Freiheit der Bürger wird auch an der Bargeldfront verteidigt
Die Bargeldabschaffung ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Denn eine starke „Koalition der Willigen“ feiert bereits große Erfolge. So gibt es in Italien und Frankreich Obergrenzen für Bargeldbezahlung. Auch die Gesamt-EU überlegt, Obergrenzen für Klimpergeld und Scheine einzuführen. In Schweden kann man seine Spende nach dem Kirchgang mit Kreditkarte bezahlen. Und der 500-Euro-Schein sieht auch seinem Ende entgegen.
Auf den ersten Blick sind die Argumente der Bargeldgegner überzeugend, oder?
Politiker weltweit würden wohl lieber heute als morgen das Bargeld abschaffen. Und mit treuen Augen – die an das süße Bambi von Disney erinnern – schauen sie uns an und können gar nicht verstehen, dass ihre Bürger die Bargeldabschaffung nicht wollen.
Zunächst ist Bargeld doch eklig unhygienisch. Wer weiß, welche Horrorkeime auf ihnen wuchern. Geld ist doch im wahrsten Sinne des Wortes schmutzig.
Überhaupt, ohne Bargeld würde der Zahlungsverkehr revolutioniert, radikal vereinfacht. Was spart sich die Volkswirtschaft nicht alles an Aufwand, wenn das Vollkornbrötchen beim Bäcker, der Müsliriegel im Supermarkt oder die Tageszeitung am Kiosk statt mit Scheinen und Münzen innovativ und flächendeckend mit EC- oder Kreditkarte bezahlt werden. In der virtuellen Geldwelt sind teure Sicherungssysteme für Bargeld oder gefährliche Geldtransporte nicht mehr nötig. Diebstahl scheitert mangels Masse.
Und ist erst einmal die Bargeld-vegane Zeit angebrochen, hat man der Steuerhinterziehung, der Schwarzarbeit und Drogenkriminalität auch vermeintlich das Wasser abgegraben. Die sich hartnäckig haltenden Gerüchte von handwerklichen Leistungen für die Gegenleistungen von DIN A5-Umschlägen mit bestimmten „Inhalten“ wären dann ein für alle Mal Geschichte. Eine alternative Tauschwirtschaft – z.B. das Bad fliesen lassen gegen eine Arztbehandlung, Lebensmittel oder Gutscheine ist schon aus logistischen und rechtlichen Gründen sehr schwer umsetzbar.
Man könnte sogar argumentieren, dass ein Land ohne Bargeld weniger Polizei braucht. Und auch weniger Steuerfahnder, denn wenn alles auf Rechnung geht, käme Vater Steuer-Staat aus dem Grinsen wie ein Honigkuchenpferd gar nicht mehr heraus.
Auf den zweiten Blick ist die Bargeldabschaffung überhaupt nicht mehr attraktiv
Na, wenn das keine überzeugenden Argumente sind, Bargeld fremdzugehen und sich lustvoll an den Vorteilen von Plastikgeld zu erfreuen. Aber ist es wirklich alternativlos, Bargeld in die ewigen geldpolitischen Jagdgründe eingehen zu lassen? Nein, ich finde, die Nachteile einer Bargeldverabschiedung wiegen schwerer.
Zunächst kann ich den Hygieneaspekt nicht gelten lassen. Mit zweierlei Maß messen, geht nicht. Auch jede Geldkarte ist ein Tummelgelände für Keime.
Und ist Drogenhandel oder Steuerhinterziehung bei Bargeldlosigkeit wirklich im Keim erstickt? Nein, diese Delikte ließen sich auch mit Gold und Silber darstellen. Will man uns also auch noch Edelmetalle verbieten wie beim Goldverbot damals in den USA? Eigentlich schon, denn wer das physische Bargeld abschafft, muss auch die naheliegende Alternative physisches Gold beseitigen. Wer A sagt, muss auch B sagen.
Und was ist mit Datensicherheit in der virtuellen Zahlungswelt? Wenn selbst US-Ministerien, Großkonzerne oder das Smartphone von Angela Merkel – das geht wohl doch unter Freunden – gehackt werden, wie kann man da sicher sein, dass das Geld auf unseren Girokonten sicher ist? Kommt eine Überweisung von A nach B auch wirklich bei B an?
Doch durch diese Zweifel lassen sich die Anbieter von Zahlungssystemen ihre Freude nicht trüben. Solange das rechtssichere, öffentliche Gut Bargeld existiert, ist die Bezahlung von Gütern und Dienstleitungen an sich kostenfrei, ohne Gebühren möglich. Aber wer sagt uns denn, dass virtuelle Zahlungsanbieter für ihre virtuellen Dienstleistungen – ist erst einmal das Bargeld verschwunden – nicht die Hand aufhalten? Wer arbeitet schon umsonst?
Wenn der große Daten-Staubsauger ausgepackt wird
Unendliche Freuanfälle würden aber vor allem bei den vielen e-Commerce-Unternehmen ausgelöst. Ist erst einmal das Bargeld verabschiedet, beginnt die große Willkommenskultur des gläsernen Kunden. Wenn alle Zahlungen nur noch virtuell per Karte abgewickelt werden, hinterlassen wir digitale Spuren wie Wölfe im Schnee mit dem Unterschied, dass unsere Spuren selbst bei Schneeschmelze nicht verschwinden werden. Zahlungsleistende und -empfänger sind mit ihren Kauf- und Verkaufsentscheidungen so transparent wie eingemachte Birnen im Glas früher bei meiner Oma.
Nicht zuletzt, wer persönliche Identifikationsmerkmale aus den Händen gibt, verliert auch die Kontrolle über seine Daten. Das Ganze ist eine Einladung an Social Media-Firmen, unsere früher noch geheimen Konsumgewohnheiten heute mit hochintelligenten Algorithmen auszuspionieren und uns mit passenden Angeboten per Smartphone und Internet ungefragt zuzumüllen: Wer z.B. auf den Schlagerpop von Helene Fischer steht, wird bei Neuerscheinung einer CD darüber sofort ausführlich und euphorisch informiert. Wir werden sozusagen einen Bar Code auf unserer Stirn tragen. Die Menschen werden zu ablesbaren, psychologisch steuerbaren Datensätzen, die an Markenunternehmen der Konsum- und Dienstleistungsbranche wie Handelswaren verkauft werden.
Die EZB kann alles, aber keinen Konjunkturaufschwung
Aus Sicht der (Geld-)Politik spricht für diese schöne, neue „heile“ virtuelle Geldwelt aber noch ein weiteres wichtiges Argument. Es geht um Konjunkturstützung. Seit 2008 hat die internationale Geldpolitik zwar alles versucht, der Konjunktur über billiges und viel Geld goldene Brücken zu bauen.
Das Problem ist nur, dass die Konsumenten diese Brücke nicht betreten. Sie geben ihr Geld trotz Zins- und Rendite-Diät nicht aus sondern legen weiter massiv in Zinsanlagen an: In der Eurozone liegen 6,6 Bill. Euro auf der hohen Kante. Angstsparen spielt hier wohl auch eine große Rolle. Die lockerste und zarteste geldpolitische Versuchung seit es Notenbanken gibt, vermag es nicht, die Konsumenten herzhaft in die konjunkturelle Schokolade beißen zu lassen.
Eigentlich können Anlagezinsen nicht flächendeckend unter null fallen, eigentlich
Was tun? Obwohl Zinssparen aktuell schon Masochismus genug ist, muss man den Schmerz für Zinsanleger noch weiter erhöhen, damit sie endlich konsumieren, endlich ihr gehortetes Geld ausgeben. Konsequenterweise müsste man flächendeckend negative Anlagezinsen einführen. So muss Verbrauchern die Lust am Sparen gründlich vermiest werden. Man stelle sich nur einmal vor, wenn aus Angst vor Vermögensverlusten auch nur 10 Prozent der Spareinlagen der Eurozone – also 660 Mrd. Euro – in die eurozonale Konjunktur mit einer Wirtschaftsleistung von gut 10 Bill. Euro flössen. Es käme zu einem Mega-Aufschwung.
Leider kann in unserem Papiergeldsystem dieses umfängliche zinsnegative „Sonder-Konjunkturprogramm“ nicht funktionieren. Denn bei Zinsen unter null würde zunehmend ein Run auf Banken und Sparkassen starten. Anleger wollen ihre Spar-Euros dann nur noch als Bargeld im Keller oder unter der Matratze halten, da sie dort keinen Zinsnachteil zu befürchten hätten. Da aber ohnehin nur unter 10 Prozent der gesamten Geldmenge in Form von Bargeld vorliegen, käme es in unserem Bargeldsystem und damit dem gesamten Bankensektor sehr schnell zum Zusammenbruch.
Ans Kreuz mit ihm, dem Bargeld? Nein, es geht um seine Wiederauferstehung!
Wenn aber unser Bargeldsystem das entscheidende Hindernis ist, flächendeckend negative Zinsen einzuführen, muss es eben abgeschafft werden. Dann ließen sich Negativzinsen auch ohne Fluchtmöglichkeiten und die Gefahr eines Bank Runs durchsetzen.
Statt klassisch zu sparen, würde man zum Geld ausgeben gedrängt wie eine willenlose Konsummaschine. Das wäre dann die perfekte staatliche Finanzrepression, um die Konjunktur gezwungenermaßen zu beleben.
Zwar gäbe es auch die Alternative einer vernünftigen Wirtschaftspolitik, die mit Reformen und Wettbewerbsfähigkeit Unternehmen veranlasst, in Europa zu investieren, Menschen einzustellen, die dann konsumieren und Steuern zahlen. Diesen volkswirtschaftlichen Königsweg will man in der Eurozone aber weder den Wählern noch sich selbst mit Blick auf die eigene Wiederwahl zumuten. Entschuldigung, das ist aber nicht mein Problem.
Freiheitsrechte im Jahr 2016 ff. bedeuten für mich auch, dass mündige Konsumenten nicht zu gläsernen Aufziehpuppen degradiert werden. Es geht niemanden etwas an, was ich mir kaufe, egal ob Holz für den Kamin, einen Kasten Bier oder Kaugummi. Daher bin ich ein Anhänger von Bargeld und werde es immer bleiben.
Aus Bargeld als einem freiheitlich-demokratischen Eigentumsrecht darf nicht virtuelles Plastikgeld als perfektes Kontrollinstrument werden. Den Fluch der vermeintlich „guten“ Bargeldabschaffungs-Tat erspare ich mir.
Es wird sicherlich auch nicht die ohnehin gebeutelte Zustimmung zu Europa stärken, wenn Europa das Bargeld abschafft.
Bargeld ist geprägte Freiheit. Die Freiheit nehm‘ ich mir!
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128.
Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de