Ohne die Verteidigung von Demokratie und Freiheit ist auch die Marktwirtschaft verloren

Nach jedem terroristischen Anschlag in Europa zeigen Politiker regelmäßig große Anteilnahme und Bestürzung und beschwören reflexartig den Zusammenhalt eines Europas, das sich niemals dem Terrorismus beugen oder sich in seiner westlich freien Lebensführung einschränken lassen werde.

Und was folgt aus diesen Worten? Kehrt man wie bislang üblich wieder zum normalen Tagesgeschäft zurück und verweist darauf, dass es 100 Prozent Sicherheit eben nicht geben kann? Stumpfen wir also an der terroristischen Gefahr ab, die aufgrund ihres mittlerweile vorhandenen Gewöhnungseffekts die finanz- und realwirtschaftliche Stimmung ohnehin nicht mehr so massiv schädigt wie noch nach früheren Terroranschlägen?

Hallo? Der islamistische Terror hat Europa schlichtweg den Krieg erklärt. Und die EU-Politik muss sich dagegen verdammt noch mal zur Wehr setzen. Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Gleichstellung von Mann und Frau, Presse- und Meinungsfreiheit sind allerhöchste Güter, die unverhandelbar sind. Diese humanistischen Errungenschaften sind nicht einfach so auf die europäische Erde gefallen. Unendlich viele Menschen haben für sie unendlich lange gekämpft bis bei der Französischen Revolution schließlich „Liberté, Égalité und Fraternité“ erschallen konnten. Und danach hat es immer noch Jahrzehnte gedauert, bis sich die Menschenrechte Europa-weit durchsetzen konnten. Europa wird sich nicht nachhaltig dem Schicksal terroristischer Bedrohung ergeben und dann auch noch politisch darauf vertrauen können, dass das auf Dauer unsere Demokratie ohne Abstumpfung aushält. Das Vertrauen in Freiheit und Demokratie ist nicht nur deshalb unverwüstlich wie Unkraut im Vorgarten nur weil es heute da ist. Nein, Vertrauen und Topfpflanzen haben etwas gemeinsam: Sie müssen nachhaltig gedüngt und gewässert werden. Ansonsten gehen sie ein.

Für mich ist es nicht überzeugend, die vermeintlich schlechte Integration migrantischer Jugendlicher als das alleinige Argument für terroristische Gewalt auszumachen. Spätestens seit den Attentaten von New York 2001 finden sich unter den Attentätern viele mit einem dem Abitur vergleichbaren Schulabschluss und sogar Studienabschlüssen. Und vielfach gingen die Terroristen ordentlichen Beschäftigungen nach. Also an prekären Verhältnissen hat es sicherlich weniger gelegen, dass man auf die völlig schiefe Bahn geriet.

Das macht Integration sicherlich nicht unwichtig. Aber wir haben es eher mit einem grundlegenden, systematischen Terrorrisiko zu tun: Den Attentätern und ihren Hintermännern ist unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung grundsätzlich ein Dorn im Auge. Sie hassen sie, sie wollen sie mit aller Gewalt bekämpfen, ja zugrunde richten. Dem IS geht es um die größtmögliche Verunsicherung der Bevölkerung, am liebsten um den gesamten Zusammenbruch unseres westlichen Werte-, Wirtschafts- und Finanzsystems.

Mit Kriminalmethoden einer Miss Marple kann man Terroristen nicht beeindrucken

Bei der Verteidigung von Freiheit und Demokratie geht es nicht darum, das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ anzuwenden. Unsere Rechtsstaatlichkeit muss unbedingt gewahrt bleiben und von einem totalen Überwachungsstaat und der Komplettabschaffung des Datenschutzes darf ebenso nicht die Rede sein. Doch müssen unsere europäischen Demokratien wehrhaft sein. Toleranz gegenüber Intoleranz ist nicht tolerierbar.

Grundsätzlich sind nur nationale Lösungen der Terrorbekämpfung dumm und dämlich, insbesondere dann, wenn sie wie in Belgien an einer schlampigen Zusammenarbeit der Behörden scheitert und dem Terror damit auch noch Luft zum Atmen gegeben wird, damit er europäisch streuen kann. Es geht um eine ordentliche gemeinschaftliche, eine europäische Lösung. Sie besteht darin, die bereits bestehenden Sicherheitsstrukturen grenzüberschreitend zu vernetzen, um sie optimal nutzen zu können. Dazu sind auch der Aufbau einer Europa-einheitlichen Terrordatenbank und die Kooperation der einzelnen Geheimdienste erforderlich. Die rechtliche Rückendeckung gibt ein länderübergreifend harmonisiertes Anti-Terror-Gesetz. Im Grunde geht es um die effiziente europäische Vernetzung dessen, was national bereits da ist. Es kann doch nicht sein, dass europäische Terrorbekämpfung an europäischer Bürokratie scheitert. Die Bekämpfung des Terrorismus ist eine gemeinsame Bringschuld der europäischen Politik.

Nicht zuletzt müssen auch das entsprechende Personal und die technische Ausrüstung bei dieser Koalition der Willigen zur Terrorabwehr vorhanden sein. Mit modernen Waffen ausgerüstete, international operierende Terroristen lassen sich nicht von nationalen Wasserpistolen und Knallfröschen beeindrucken.

Sich dem Terror als potenziellem Einschüchterungsargument gemeinsam zu widersetzen, wird sicherlich viel Geld kosten. Doch ist es Europa mit seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung jeden Cent wert. Übrigens, das Europäische Gemeinschaftswerk erlangt seine Berechtigung und Bedeutung auch dadurch, dass es gemeinschaftlich die westliche Freiheit verteidigt. Es ist dann sogar zu erwarten, dass die existenzielle Terrorgefahr den zuletzt dramatisch eingeschlafenen europäischen Einigungsgeist wieder zum Leben erweckt. Trotz allem europäischen Hick und Hack der letzten Jahre könnte die Terrorkrise so Europa über ein bekanntes militärisches Motto wiedervereinigen: Ein gemeinsamer Feind eint mehr als tausend gemeinsame Freunde.

Das Sicherheitsbedürfnis der Menschen muss befriedigt werden

Natürlich schafft es selbst eine derart gemeinsame EU-Politik nicht, die Terrorgefahr völlig einzudämmen. Aber sie würde deutlich verringert. Und nur dann wird die Politik das völlig legitime und natürliche Sicherheitsbedürfnis von Menschen befriedigen können. Ohne ein ordentliches Sicherheitsgefühl wird nicht nur der Glauben in eine handlungsfähige Demokratie zermürbt. Sollte der Terrorismus quantitativ und qualitativ noch viel schlimmere Dimensionen annehmen, wären trotz Gewöhnungseffekt schwere finanz- und realwirtschaftliche Schäden unvermeidbar. Dann wird sich kein befreites Wohlgefühl einstellen, das allerdings Bedingung für eine positive Konsumstimmung und Ausgabenneigung ist.

Hat erst einmal die Angst das Kopfkino nachhaltig in Beschlag genommen, hätte der islamistische Terrorismus sein Ziel erreicht und fühlte sich ermutigt, Europa politisch und wirtschaftlich noch mehr auszuweiden.

Und gegen eine sich psychologisch hartnäckig haltende Terrorangst, die die Seele von Verbrauchern und Anlegern trifft, kann dann auch die üppigste Liquiditätspolitik der EZB und selbst Helikopter-Geld – also Gratis-Geld – nicht mehr wirklich helfen.

Also Europa, tritt den Terror gemeinsam gewaltig in den Allerwertesten!

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

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