Die EZB geht von Schall- auf Lichtgeschwindigkeit – Aber welche Bedeutung hat Geldpolitik heute überhaupt noch
Die Spatzen pfeifen es bereits von den Dächern. Am 10. März wird die EZB ihre ohnehin freizügige Geldpolitik noch großzügiger gestalten. Aber zeigen geldpolitische Schritte überhaupt noch Wirkung? Unverkennbar ist doch, dass nicht nur die Eurozone ein konjunkturelles Problem hat, das geldpolitisch offensichtlich nicht geheilt werden kann. Deflationsdruck und weltwirtschaftliche Konjunkturschwäche halten sich hartnäckig wie Kaugummi am Schuh. Hat die Geldpolitik also in Bausch und Bogen versagt oder kann irgendetwas zu ihrer Ehrenrettung beitragen?
Das Verarbeitende Gewerbe in den USA befindet sich trotz der zu beobachtenden Stabilisierung des ISM Index weiterhin in Rezessionsterrain. Eingetrübt hat sich im Trend aber auch die Stimmung im bis Mitte 2015 stabilen Dienstleistungssektor. Eine entscheidende Stützte der US-Konjunktur droht an Wirkung einzubüßen.
Entsprechend vorsichtig äußern sich vereinzelte Mitglieder der Fed und sprechen bereits von einem „leicht veränderten“ Zinspfad sowie einem angepassten Timing weiterer Zinserhöhungen. Im Übrigen häufen sich die Gerüchte, dass auch ein weiteres Anleiheaufkaufprogramm in den USA – es wäre das vierte – gestartet werden könnte. Die Tür zu einer Aussetzung weiterer Leitzinsrestriktionen ist in jedem Fall aufgestoßen. Die Fed ist sich zwar darüber im Klaren, dass eine geldpolitische Entspannungspolitik keine unmittelbare Wirkung auf die Konjunktur hat. Doch sie vertraut darauf, dass sich via Geldpolitik der Aktienmarkt stabilisiert, der wiederum über einen positiven Vermögenseffekt der Amerikaner – die sich reicher fühlen – zu einer verstärkten Konsumneigung führt. Allerdings hat dieser früher markante Zusammenhang in den letzten Jahren an Relevanz eingebüßt.
Japanische Notenbank: L’état, c’est moi
Die Ängste vor einem hard landing Chinas sorgen für eine Kapitalflucht in den als sicher empfundenen japanischen Yen, der insofern dramatisch aufwertet. Yen-stärkend kommt hinzu, dass der klassische japanische Carry Trade – also zinsgünstige Geldaufnahme in Yen und -anlage in höherverzinslichen Währungen – vor dem Hintergrund eines weltweit insgesamt niedrigen Zinsniveaus kräftig nachgelassen hat. Es fehlt der Hebel von internationalen Zinsdifferenzen. Die den Yen grundsätzlich schwächende Liquiditätsmaschine Japan hat sich in das Gegenteil verkehrt und schwächt als Folgeschaden die Exportwirtschaft Japans.
Die fatale Exportsituation trifft zusätzlich auf eine unter Überalterung und einem schrumpfenden Mittelstand leidende Binnenwirtschaft, die es der japanischen Volkswirtschaft insgesamt nicht ermöglicht, der Deflationsfalle zu entkommen. Der Not gehorchend hat sich Japan zu einer verstärkten Zusammenarbeit von Geld- und Fiskalpolitik entschieden. Staatliche Konjunkturprogramme, die auch der Infrastruktur Japans zugutekommen und damit auch nachhaltige privatwirtschaftliche Wachstumseffekte erzielen, werden de facto komplett von Anleiheaufkäufen der japanischen Notenbanken finanziert. Die japanische Geldpolitik bleibt bedeutend.
Auch China hat geldpolitisch verstanden
Offensichtlich hat China die Pause des Neujahrsfests zum Nachdenken genutzt und verstanden, dass man an künstlicher Befruchtung von Konjunktur und Finanzmärkten der westlichen Machart nicht mehr vorbeikommt. Tatsächlich setzt die People’s Bank of China auf den Doppelschlag aus qualitativer und quantitativer Geldpolitik. Über die Verringerung des Mindestreservesatzes für Banken auf 17 von 17,5 Prozent – tiefster Stand seit Mitte 2010 – betreibt sie eine Politik der fortgesetzten Kreditverbilligung. Das Thema Bekämpfung von Kreditblasen ist eindeutig in den Hintergrund getreten. Daneben hat die chinesische Notenbank zuletzt auch die Liquiditätsausstattung der Finanzmärkte verbessert.
Ohnehin hat sie hier gegenüber westlichen Notenbanken noch ein deutliches Nachholpotenzial.
Die Liquiditätsausweitung soll nicht zuletzt den Aktienmarkt stabilisieren, der aufgrund des Mangels aussagekräftiger Konjunkturdaten zum Dreh- und Angelpunkt für die Einschätzung der konjunkturellen Lage „missbraucht“ wird.
Erste Erfolge sind bereits sichtbar: Der Shanghai Composite Aktienindex zeigt sich stabiler und nähert sich sogar wieder der psychologisch wichtigen Marke von 3.000 Punkten an. Die zuletzt festzustellende Stimmungsfestigung am Aktienmarkt dürfte bei zu erwartender Fortsetzung auch positiven Niederschlag bei den Einkaufsmanagerindices im Verarbeitenden und Dienstleistungsgewerbe finden.
Noch einmal wird Draghi nicht enttäuschen (können)
Im Vorfeld der nächsten Sitzung der EZB am 10. März hat Mario Draghi den Boden für weitere Lockerungen der Zinspolitik und bei Anleiheaufkäufen vorbereitet. Dies hat er auch vor der Sitzung im Dezember 2015 getan und dann die Anleger mit einer nahezu unveränderten Geldpolitik enttäuscht. Massive Schwankungen an den Finanz- und Währungsmärkten, die sich auch in realwirtschaftlicher Skepsis entluden, waren die Folge. Diese Erwartungsenttäuschung wird er nicht noch einmal riskieren können. Er wird liefern müssen, weil er sich selbst in massiven Zugzwang gebracht hat. Zu sehr hat er zuletzt immer wieder auf Deflations- und Konjunkturrisiken hingewiesen.
Zu erwarten ist, dass er einerseits den Einlagenzins für Banken von minus 0,3 auf minus 0,4, wenn nicht sogar minus 0,5 Prozent senkt und gleichzeitig die monatlichen Anleiheaufkäufe um bis zu 20 Mrd. Euro monatlich ausweitet.
Dem erneut sinkenden Einlagenzins kommt eine besondere Bedeutung zu. Der EZB geht es nicht primär darum, dass die Banken in Abwendung höherer Strafzinsen mehr Kredite an Unternehmen oder Haushalte vergeben. Die Notenbanker wissen, dass in der augenblicklich verunsicherten konjunkturellen Situation und angesichts der Eigenkapitalschonung der Banken keine Dynamik in puncto Kreditausleihungen zu erwarten ist.
Ihre primäre Absicht ist eine andere: Da die EZB nur bis zu dieser Renditeuntergrenze des Einlagenzinses Staatsanleihen erwerben darf, erhöht sich bei Senkung ihr Aufkaufvolumen und verbessern sich damit die Kreditbedingungen der Staatshaushalte im Euroraum. Bereits jetzt sind diese in Deutschland bis zur Anleihelaufzeit von 8 Jahren nicht mit Zinskosten, sondern mit Zinsgewinnen verbunden. Und da die EZB noch mehr auch deutsche Staatspapiere aufkaufen wird, gibt es neben dem Ausbleiben eines Finanzierungsproblems zukünftig auch kein Absatzproblem.
Die EZB will, dass die Staatswirtschaft als Ersatzbefriedigung der Privatwirtschaft fungiert. Marktwirtschaftler wird diese Absicht nicht erfreuen und das ist mehr als verständlich. Doch immerhin wären diese staatlichen Finanzmittel gut investiert, wenn sie zur Verbesserung der Infrastruktur verwendet würden. Die Sanierung von Brücken und Straßen, die konsequente Fortsetzung der Energiewende, der digitale Netzausbau und massive Bildungsinvestitionen würden den Industriestandort Deutschland aufwerten. Dann würden auch wieder Unternehmen zu Investitionen in Deutschland angereizt. Insgesamt würde die üppige Geldpolitik der EZB eine sinnvolle Verwendung finden, wenn auch andere Euro-Länder dem Beispiel Deutschlands folgen würden.
Gold glänzt wieder, zumindest vorläufig
Null- ja sogar Negativzinsen, Risikoaversion, der Verlust von Zinsvermögen als renditeattraktive Anlageklasse und geopolitische Konflikte sind der argumentative Hintergrund für die aktuelle Renaissance von Edelmetallen als sicherem Anlagehafen. Tatsächlich zeigt der seit Anfang 2013 festzustellende Abbau physisch gehaltener Goldbestände börsengehandelter Fonds seit Anfang 2016 eine markante Trendwende. Allein der Februar verzeichnete die höchsten ETF-Zuflüsse seit sieben Jahren. Gold befindet sich – wenn auch nur knapp – im Bullenmarkt.
Allerdings dürfte der Rückenwind für Gold nachlassen, sobald sich die Wogen an den Finanzmärkten glätten. Und eins darf nie vergessen werden: Die geldrettungsorientierten Zentralbanken haben kein Interesse an einer starken Konkurrenzwährung. Sie drücken den Preis indirekt über die derivaten Finanzmärkte.
Dennoch bleibt Gold in einer Finanzwelt, die Stabilität schon lange nicht mehr im Sortiment führt, ein langfristig wichtiger Bestandteil im Anlageklassenmix. Es geht um langfristigen Vermögenserhalt, nicht um kurzfristige Renditeerwirtschaftung. Angesichts einer aus den Grundfesten gehobenen Finanzwelt werden die Anleger noch dankbar sein, dieses sachkapitalistischste aller Güter zu besitzen. Und ist es falsch, Gold zu besitzen, wenn es Notenbanken in Zeiten von Verunsicherungen an den Finanzmärkten auch tun? Seit 2009 hat sich der langjährige Abbau von Goldbeständen deutlich in das Gegenteil verkehrt.
Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung – Nie waren Dividenden als Ersatzbefriedigung für Zinsen so wertvoll wie heute
Insgesamt können die Notenbanken ihr geldpolitisches Pflaster nicht von den finanz- und weltkonjunkturellen Wunden entfernen. Die Blutungen würden sofort wieder starten. Immerhin ist damit eine verbesserte Stimmung an den Aktienmärkten verbunden. Sie haben ihren Boden gefunden. Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Ölpreis sich stabilisiert hat. Allerdings bleibt der Brexit ein latentes Aktienmarktrisiko, das bis zum Abstimmungstag am 23. Juni 2016 – je nach Umfrageergebnis – für ansteigende Volatilitäten sorgen wird.
Die Leidtragenden dieser Rettungsmission werden die Zinssparer sein. Daher wird auch im laufenden Jahr der Weltspartag zum Volkstrauertag degenerieren.
Angesicht des kollektiven Zinsverfalls werden Dividendentitel als sinnvolle Alternative unverzichtbar. Das gilt insbesondere ebenso mit Blick auf den Wiederanlageeffekt: Der Dividendendividendeneffekt ersetzt den Zinseszinseffekt.
Aktuell wartet der DAX mit ca. 3,4, der Euro Stoxx 50 mit 4,1 und einige Branchen sowie ein reiner Euro-Dividendenindex mit bis zu 5 Prozent Dividendenrendite auf.
In diesem Jahr wird die höchste Dividendensumme der im DAX vertretenen Konzerne aller Zeiten ausgeschüttet, obwohl RWE seine Ausschüttungen auf Stammaktien gestrichen hat. Erfreulicherweise werden die Dividenden insgesamt nicht aus der Unternehmenssubstanz, sondern aus erwirtschafteten Gewinnen gezahlt. Nicht zuletzt sind dividendenstarke Aktien ebenso ein ordentliches Risikopolster gegen Kursschwankungen.
Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 – Der Ausbruch gelingt
Charttechnisch stößt der DAX auf dem Weg nach oben bei 9.905 Punkten auf einen ersten Widerstand. Darüber liegen weitere Hürden bei 10.123 und 10.486. Im Falle einer erneuten Konsolidierung bietet die Marke am kurzfristigen Aufwärtstrend bei aktuell 9.606 Punkten ersten Halt. Darunter liegen weitere Unterstützungen bei 9.581, 9.391, 9.125 und in der Kurslücke zwischen 9.079 und 8.967 Punkten. Schließlich gibt der langfristige Aufwärtstrend bei 8.729 Halt.
Der Euro Stoxx 50 stößt auf der Oberseite bei 3.050 und 3.137 Punkten auf Widerstand. Auf der Unterseite liegt die erste Unterstützung bei 2.950 Punkten. Darunter gibt der zuletzt überwundene kurzfristige Abwärtstrend bei 2.842 Punkten Halt. Wird diese Linie signifikant unterschritten, warten bei 2.800 und 2.756 Punkten weitere Unterstützungen.
Der Wochenausblick für die KW 10 – Alle Augen auf den EU-Gipfel und die EZB-Sitzung
In China fallen die Im- und Exportzahlen für Februar erneut schwach aus. Doch sollten diese aufgrund typischer Verzerrungen wegen des chinesischen Neujahrsfests nicht überinterpretiert werden. Der klare Fokus der Anleger liegt auf dem Parteikongress der KP, auf dem dringend nötige weitere Maßnahmen zur Konjunkturstabilisierung beschlossen werden müssen.
In den USA stehen die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe im Mittelpunkt.
In der Eurozone signalisieren die Sentix Konjunkturerwartungen für die nächsten 6 Monate die anhaltende Konjunkturskepsis großer Finanzinvestoren. Die EZB wird auf ihrer Sitzung gesenkte Wachstums- und Inflationsprognosen präsentieren und darauf mit einer erneuten Senkung ihres Einlagenzinses sowie der Erhöhung des Aufkaufvolumens von Anleihen reagieren.
In Deutschland unterstreichen Februar-Zahlen zu den Auftragseingängen in der Industrie, der Industrieproduktion sowie dem Export das schwere Fahrwasser für die deutsche Wirtschaft.
Ein ganz besonderes Augenmerkt gilt dem EU-Türkei-Gipfel in Brüssel. Aus aktueller Perspektive spricht wenig für eine einvernehmliche Lösung in der Flüchtlingsfrage. Die massiven politischen Diskrepanzen innerhalb der EU dürften anschließend anhalten und in Form von Eurosklerose und Brexit-Befürchtungen für latente Störmanöver an den Aktienmärkten sorgen.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128
Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de