Die Weltwirtschaft hat kein geldpolitisches Angebots-, sondern ein massives Nachfrageproblem
Die internationale Geldpolitik hat sicherlich eins geschafft. Mit ihrem unbegrenzten Geldschöpfungsmonopol macht sie jede Art von Banken- und Staatsschuldenkrise unmöglich. Geldpolitisch allmächtig ertränkt man die finanzwirtschaftlichen Sorgen sozusagen in billiger Liquidität. In der Beherrschung konjunktureller Krisen sind Notenbanken jedoch ziemlich ohnmächtig. Denn trotz der freizügigsten Geldpolitik aller Zeiten sind ein Deflationsdruck und eine weltwirtschaftliche Konjunkturabschwächung unverkennbar. Wie kann man für ein zufriedenstellendes weltweites Wirtschaftswachstum sorgen?
Bereits der Blick auf die Renditeentwicklung einer fünfjährigen „Durchschnitts-Staatsanleihe“ aus den USA, Japan und Deutschland zeigt, dass die Liquiditätspolitik der Notenbanken eine Staatsschuldenkrise mühelos verhindert.
Und auch im europäischen Bankensektor wird die EZB trotz aktuell steigender Kreditrisiken niemals eine ernste Bankenkrise zulassen. Denn eine nachhaltige Verunsicherung in der Finanzwirtschaft schlägt – das zeigt die Entwicklung nach der Pleite von Lehman – zügig auf die Realwirtschaft durch.
Die finanzwirtschaftliche Pflicht schafft die EZB mühelos, aber nicht die realwirtschaftliche Kür
Realwirtschaftlich versagt die Geldpolitik jedoch dramatisch. Dies signalisieren zunächst die Inflationserwartungen in der Eurozone, die sich auf einem Allzeittief befinden. Es ist absurd: Je liquider die Finanzmärkte, desto größer der Deflationsdruck.
Selbst in den USA gewinnt die US-Konjunkturschwäche an Breite. Die von der University of Michigan ermittelten US-Verbrauchererwartungen haben im Trend bereits merklich nachgegeben. Aber auch das „Straßen-Research“, also die Beobachtung alltäglicher Entwicklungen, bestätigt diese Einschätzung. Einer dieser alltäglichen US-Konsumschwächeindikatoren ist der Restaurant Performance Index, der misst, wie hoch die Neigung der Amerikaner ist, essen zu gehen. Dieser Index ist seit Oktober 2015 kräftig eingebrochen.
Auch Corporate America übt sich in Zurückhaltung. Die Investitionsneigung der US-Unternehmen verliert an Fahrt. Die Bruttoanlageinvestitionen haben sich zuletzt im Vorjahresvergleich halbiert. Sicherlich kommt hier auch die Investitionszurückhaltung im US-Öl- und Gas-Sektor zum Ausdruck. Doch tragen auch die sich allmählich eintrübenden Finanzierungsbedingungen für US-Unternehmen – und das bei bislang nur einer minimalen US-Leitzinserhöhung- zur Ernüchterung bei.
Ebenso ist die Investitionsschwäche in den Schwellenländern unverkennbar: Die Anlageinvestitionen in Brasilien und China sind im Vorjahresvergleich kräftig gesunken.
Die deutsche Wirtschaft ist keine Insel der wirtschaftlichen Glückseligkeit mehr
Die Ausstrahleffekte der weltwirtschaftlichen Konjunkturunsicherheit sorgen auch in der Eurozone für Sand im Getriebe. Seit Jahresbeginn hat sich der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe von 53,1 auf aktuell 51 deutlich abgeschwächt und liegt nur noch knapp über der Expansion anzeigenden Schwelle. Die maue Konjunkturstimmung greift mittlerweile auch auf das Dienstleistungsgewerbe über. Die Konjunkturskepsis fordert auch ihren Tribut an den europäischen Aktienmärkten, die sich trotz Bodenbildung weiter nervös zeigen.
Auch Deutschland kann sich dieser Konjunktureintrübung nicht entziehen. Setzt man die ifo Geschäftslage und -erwartungen gemäß den vier Konjunkturphasen zueinander in Bezug, ist die deutsche Wirtschaft auf der Stimmungsebene vom Boom in den Abschwung abgerutscht. Auch wenn die ifo Geschäftslage stabil verläuft, senden die fallenden Geschäftserwartungen beunruhigende Signale aus.
Wie gehen die Notenbanken mit ihrer realwirtschaftlichen Glaubwürdigkeitskrise um?
Dennoch, die Notenbanken sind immer noch der irrigen Meinung, dass sie mit ihren Werkzeugen letztlich die Realwirtschaft beflügeln werden. Verzweifelt vertrauen sie auf ihre Wunderwaffen. Ihr Motto: Viel hilft viel. Da die Nullzinspolitik nicht wirkte, muss die quantitative Lockerung über Anleihekäufe her. Und da diese auch nicht von konjunkturellem Erfolg gekrönt war, werden jetzt negative Leitzinsen ausprobiert. Man verfolgt immer noch den Ansatz, die Kreditkosten zu senken. Man hofft, dass billigste Zinsen Haushalte und Unternehmen veranlassen, Kredite nachzufragen. Und man hofft auch, dass Banken bei negativen Einlagenzinsen bei der EZB – also Strafzinsen – dann doch lieber Kredite vergeben.
Dieses finanztheoretisch logische Ansinnen ist aber in der Realität nicht zu beobachten. Geradezu erbärmlich ist das Bild, das die EZB bei der Stimulierung des Kreditvolumens in der Eurozone an Unternehmen und Haushalte abgibt. Trotz negativer Einlagenzinsen scheuen die Banken das Risiko von Kreditengagements zunächst, weil die europäische Bankenpolitik mit ihren strengen Regulierungsvorschriften als massive Handicaps wirken. Das Eigenkapital wird geschont, ohne das es aber keine Kreditausleihungen geben kann. So verdurstet die Realwirtschaft in der liquidesten Finanzmarktausstattung aller Zeiten.
Die Notenbanken haben die falsche Brille aufgesetzt. Sie verkennen, dass das weltkonjunkturelle Problem nicht auf der Angebotsseite besteht, die geldpolitisch theoretisch gut unterfüttert ist. Die Krise befindet sich auf der Nachfrageseite. So sind die Banken immer noch im Prozess der Bilanzbereinigung: Priorität hat der Abbau von Alt-, nicht das Eingehen von Neurisiken. Nennen wir es „Bilanzrezession“. Und auf Unternehmens- und Haushaltsseite gibt es auch angesichts der weltkonjunkturellen Eintrübung so etwas wie ein Schuldenvermeidungssyndrom. Wer auf der Stimmungsseite verunsichert ist und/oder bereits verschuldet ist, denkt nicht daran, sich weiter zu verschulden.
Derzeit haben wir es mit mustergültigen Investitions- bzw. Liquiditätsfallen der Keynesianischen Wirtschaftstheorie zu tun. Oder anders ausgedrückt: Die Geldpolitik mag den Pferden an der Tränke ein großzügiges Angebot an Wasser machen. Aber wenn sie nicht trinken wollen, hat die Wassernachfrage versagt.
Vor diesem konjunkturellen Hintergrund ist die Realitätsverweigerung der Notenbanken enorm. Berauscht von ihrem Erfolg bei der Stabilisierung der Finanzmärkte, glauben sie letztendlich auch realwirtschaftlich reüssieren zu können.
Blasen, Blasen, Blasen
Statt realwirtschaftlicher Stimulierung haben die Notenbanken Anlageblasen geschaffen, die alle Übertreibungen der Vergangenheit weit in den Schatten stellen. Die größte Anlageblase ist die Anleihenblase. Daneben ist aber auch eine erneute Immobilienblase unverkennbar. Nach den Einbrüchen seit 2007 haben die Immobilienpreise wieder kräftig zugelegt.
Vor diesem Hintergrund ist die absehbare Ausrichtung der Geldpolitik auf negative Zinsen fatal. Sie befeuern die Anlageblasen noch mehr. Es kommt zu noch mehr Fehlallokationen und Blasenbildungen in Anlageklassen wie Anleihen, Immobilien und früher oder später in Aktien. Leider können die Notenbanken diese Blasen nicht mehr kontrolliert entblähen. Wenn bereits eine einzige US-Zinserhöhung im Dezember 2015 für merkliche Unruhe an den Finanzmärkten und Kapitalflucht aus Asien Richtung USA sorgt, zeigt sich das Dilemma der Notenbanken. Ein Rückzug in die geldpolitische Normalität ist verbaut. Das Platzen der Anlageblasen würde schwerste Kollateralschäden für die Finanz- und Realwirtschaft bedeuten.
Wenn schon die Notenbanken als Mutter aller Schlachten in der Krise stecken, wie muss es dann erst um die Weltwirtschaft bestellt sein?
Realwirtschaftliche Lösungsansätze machen auch vor heiligen Kühen nicht Halt. Nicht umsonst kommt aktuell verstärkt die Diskussion um das Thema „Bargeldabschaffung“ auf. Die (Geld-)Politik stellt nämlich erschreckend fest, dass die Anleger trotz mauer Zinserträge massives Zinssparen betreiben. Sie sind zinsunelastisch Allein in der Eurozone liegen über 6,5 Bill. Euro auf der hohen Kante.
Wenn nur ein Zehntel dieser Anlagesumme die reale Wirtschaft erreichte, stünde die Eurozone vor einem gewaltigen Wirtschaftsaufschwung. Alternative Steuererhöhungen auf Spareinlagen verbieten sich, da die Sparer auch Wähler sind. Ein Lösungsansatz – so denkt man – ist die Bargeldabschaffung. Als Alibi muss die Bekämpfung von Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung und Drogenhandel herhalten. Doch wenn erst einmal das Bargeld abgeschafft ist, könnte man mühelos flächendeckend negative Anlagezinsen und auch -renditen einführen. Der Ausweg, Bargeld unter die Matratze zu legen, um negativen Zinsen zu entgehen, wäre verbaut. In der Tat wäre damit ein Konsum getriebener Wachstumsimpuls verbunden. Die bargeldlose Zeit wird früher oder später kommen. Doch hilft sie der Konjunktur nicht kurzfristig.
Auf einem Bein kann man nicht stehen – Geld- und Fiskalpolitik gehören zusammen
In der Zwischenzeit muss eine andere Lösung für die Konjunkturschwäche her. Die Geldpolitik als die Angebotsseite stimulierende Größe ist allein nicht erfolgreich. Ihr fehlt die Nachfrageseite. Gemeint ist die Fiskalpolitik. Ihr Zusammenwirken lässt sich am Beispiel Deutschland gut aufzeigen. Im Moment herrschen für den Bundesfinanzminister und seine Amtskollegen in den Bundesländern paradiesische Zustände. Bis zur Anleihelaufzeit von 8 Jahren ist die Kreditaufnahme nicht mit Zinskosten, sondern mit Zinsgewinnen verbunden. Deutschland verdient an der Aufnahme neuer Kredite. Zusätzlich kauft die EZB insbesondere deutsche Staatspapiere monatlich massiv auf. Es gibt also auch kein Absatzproblem. Und da die EZB auf ihrer nächsten Sitzung am 10. März eine weitere Reduzierung des Einlagenzinses auf minus 0,4 Prozent beschließen dürfte – bis zu dieser Renditegrenze dürfen Staatspapiere aufgekauft werden – wird sich das Aufkaufvolumen weiter erhöhen. Weitere Einlagenzinssenkungen sind zu erwarten.
Um keinen falschen Zungenaschlag aufkommen zu lassen: Bei dieser Schuldenaufnahme darf es nicht um die frühere klassische Schuldenaufnahme zur Ausweitung von Sozialleistungen gehen. Diese Finanzmittel sollten eindeutig der Verbesserung der deutschen Infrastruktur zugutekommen. Es geht um die Sanierung von Brücken und Straßen, die konsequente Fortsetzung der Energiewende, den digitalen Netzausbau und Bildung, Bildung, Bildung. Das sind Basisinvestitionen, die das Potenzial haben, zu privatwirtschaftlichen Folgeinvestitionen in realwirtschaftliche Güter und nicht in Blasen zu führen. Die Investitionsrenditen werden attraktiver und damit nicht zuletzt der deutsche Investitionsstandort, den die deutsche Politik in den letzten Jahren wie ein Stiefkind behandelt hat. Die schwarze Null im Bundeshaushalt ist zum Selbstzweck mutiert und mag sich im Wahlkampf gut verkaufen, volkswirtschaftlich ist sie aber unter den gegeben Bedingungen irrelevant. Wenn sich diese Investitionsidee auch in anderen Euro-Ländern verbreiten würde, wäre ebenso viel für die wirtschaftspolitische Reputation Europas gewonnen. Hierbei sollte man nicht zuletzt an Arbeitsplätze und den sozialen Frieden denken.
Nicht zuletzt erlaubt die zins- und liquiditätspolitische Üppigkeit auch auf weltkonjunktureller Basis eine Investitionsoffensive über Schulden. Fundamental würden sich die Aktienmärkte sehr erfreut zeigen.
Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung – Die Lage wird weniger kritisch eingeschätzt
Trotz rückläufiger ifo Geschäftserwartungen setzen deutsche konjunktursensitive Mittelstands-Aktienwerte aus dem MDAX ihre relative Outperformance gegenüber dem Leitindex DAX fort. Zwar bekommen sicherlich die DAX-Titel die unsicherheitsbedingte Zurückhaltung großer internationaler eher zu spüren als Nebenwerte aus dem MDAX. Doch hält man an konjunktursensitiven deutschen Mittelstandsaktien auch gerne fest, da sie von ihrer starken Wettbewerbsposition aufgrund einer vielfachen Weltmarktführerschaft bei Nischenprodukten und Industriepatenten insbesondere dann profitieren, wenn sich der Nebel der weltkonjunkturellen Unsicherheit an den Aktienmärkten lichtet. Und mit Blick auf eine Stabilisierung des chinesischen Aktienmarkts – der auch den fundamentalen Blick auf Chinas Wirtschaft weniger trübt – und einen Ölpreis, der den Boden gefunden hat, verliert die Panik an Bedeutung.
Sicherlich bleibt aber die Volatilität bis zur Abstimmung über den Brexit am 23. Juni 2016 hoch. Grundsätzlich sind die Aktienmärkte dramatisch überverkauft. Sinnbildlich für den Aktienpessimismus ist insbesondere die massive Anzahl leerverkaufter Aktien (sog. Short Interest) an der New York Stock Exchange, die sich aktuell auf dem höchsten Niveau seit der Pleite der Lehman-Bank 2008 befindet. Da auch die US-Notenbank über mindestens die Hinauszögerung weiterer Leitzinserhöhungen, wenn nicht sogar das Ende ihrer Zinserhöhungspolitik einen Konjunktur- und Finanzmarkteinbruch wie 2008 verhindern wird, deutet das Short Interest am US-Aktienmarkt als klassischer Kontraindikator auf eine bevorstehende Wende hin zu wieder steigenden Aktienkursen hin.
Gemäß des von der BNP Paribas veröffentlichten Love-Panic Market Timing Indikators für den US-Aktienmarkt – er liefert Anhaltspunkte für Aktienkäufe, sobald der Index ab der Schwelle von minus 20 in den Panic-Bereich fällt und für Verkäufe bei einem Überschreiten der Schwelle von 20 in den Love-Bereich – ist auf Sicht der nächsten sechs Monate wieder mit steigenden Kursen zu rechnen.
Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50
Auf dem Weg nach oben gilt es für den DAX, den Widerstand bei 9.563 zu durchbrechen. Gelingt dies, warten die nächsten Hürden am kurzfristigen Abwärtstrend bei rund 9.735 und darüber bei 9.905 sowie 10.123 Punkten. Im Fall einer Korrektur liegt die erste wichtige Unterstützung im Bereich zwischen 9.325 und 9.300 Punkten. Darunter liegen weitere Haltelinien bei 9.251, 9.083, 8.913 und bei 8.703 Punkten.
Im Euro Stoxx 50 setzt sich die Rallye fort, wenn die Barriere bei 2.950 Punkten überzeugend überwunden wird. Weitere Widerstände warten bei 3.050 und 3.137 Punkten. Gelingt das nicht, eröffnet sich Abwärtspotenzial bis zum kurzfristigen Abwärtstrend bei aktuell 2.896 und darunter bis 2.850 Punkten. Weitere Unterstützungen liegen schließlich zwischen 2.786 und 2.756 sowie bei 2.700 und 2.650 Punkten.
Der Wochenausblick für die KW 9 – Weltkonjunkturelle Entspannungssignale voraus?
In China deutet eine Stabilisierung sowohl des offiziellen als auch des Caixin Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe zumindest eine konjunkturelle Verschnaufpause an. Mit Spannung wird erwartet, inwieweit Peking auf dem bevorstehenden G20-Gipfel in Shanghai ein Maßnahmenprogramm zur Konjunkturstabilisierung vorstellt.
In den USA richten sich die Anlegerblicke auf den ISM Index für das Verarbeitende und Dienstleistungsgewerbe sowie die Auftragseingänge in der Industrie und die US-Arbeitsmarktdaten. Den Konjunkturbericht der Fed (Beige Book) werden Anleger genau auf mögliche Signale in puncto weiterer US-Zinspolitik abklopfen.
In der Eurozone unterstreicht die Inflationsschätzung für Februar die hartnäckigen Deflationstendenzen und verleiht den Tauben in der EZB weitere Munition für eine Ausweitung der geldpolitischen Offensive im März.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128
Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de