Was machen die Kapitalmärkte 2016?
Überraschung des Jahres 2016 – Geopolitik kein Aktien-Handicap mehr
Ein gemeinsamer Feind eint mehr als 1.000 gemeinsame Freunde. Es dürfte sich endlich ein internationaler Schulterschluss abzeichnen, eine Anti-Terror-Koalition, die den Namen verdient. Die USA und Russland nähern sich wieder an, um gemeinsam gegen den IS vorzugehen. Die Chancen sind hoch, dass man die Sanktionen gegen Russland fallen lässt und Russland wieder im geopolitischen Sandkasten mitspielen kann. Ein verstärktes Ziehen an einem Strang im „Krieg“ gegen den Islamismus ist auch bei europäischen Politikern zu beobachten, die in letzter Zeit nicht gerade durch Corpsgeist oder Solidarität, sondern durch gegenseitiges Hauen und Stechen aufgefallen sind. Setzt sich diese Harmonie jetzt in der Terrorabwehr fort, wäre dies ein großartiges Signal, dass Europa trotz aller Kritik doch noch funktioniert. So würden die Finanzmärkte immer mehr geopolitisch gestützt und immer weniger geopolitisch geschwächt. Immerhin war der Konflikt des Westens gegen Russland ein Handicap für die Märkte. Und die mittelständische deutsche Wirtschaft freut sich besonders, wenn Russland als Wirtschaftsstandort wieder offen ist.
Weltwirtschaft – Wieder etwas stabiler
Die Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft 2016 stabilisieren sich leicht. In den USA bilden ein stabiler Dienstleistungssektor und der robuste Konsum das Rückgrat für die Konjunktur. Im Laufe des nächsten Jahres dürfte der US-Energiesektor das Schlimmste überstanden haben. Nicht zuletzt gelten die USA angesichts ausbleibender Reformaktivitäten in der Eurozone und mit Blick auf gewachsene politische Spannungen in Europa als eine attraktive Standortalternative für Unternehmen.
In China gilt angesichts der wirtschaftlichen Lethargie ein neuer Wahlspruch: Wir haben verstanden. Der neue Fünf-Jahres-Plan der Regierung setzt wie in westlichen Ländern und in Japan auf die Zangenbewegung von staatlichen Konjunkturmaßnahmen und geldpolitischer Alimentierung. Von der Aufhellung im volkswirtschaftlichen Zentralgestirn Asiens werden auch die Anrainerstaaten profitieren. Erfolgreich ist China bereits bei der planwirtschaftlichen Stabilisierung des Aktienleitindex Shanghai Composite. Damit sind Risiken, dass ein ungebremster Aktiencrash über die damit verbundene Liquiditätspräferenz auch die Kredit- und Immobilienblase platzen lassen könnte, deutlich in den Hintergrund getreten.
Das hat zwar mit Marktwirtschaft nichts mehr zu tun, doch wird sich sicherlich keine westliche Exportnation über diese künstliche Konjunkturbefruchtung beschweren. Grundsätzlich werden vergleichsweise geringere chinesische Wachstumsraten das „new normal“ sein. Denn der Fokus liegt auf einer nachhaltigen, weniger wachstumsdynamischen Binnenkonjunktur.
Euro-Konjunktur – Die Geldpolitik wird das Systemrisiko „Europa“ verhindern
Neue Konjunktur-, Banken-, Staatsschulden- oder Finanzkrisen hielte Europa nicht mehr aus. Denn ansonsten würde das größte aller Risiken, die strukturellen Zersetzungserscheinungen – die Euro-Sklerose – erst Recht nicht mehr handhabbar sein. Sollte Europa weiter nicht durch harmonische Lösungen, z.B. in der Flüchtlingsfrage, sondern durch gegenseitiges Hauen und Stechen auffallen oder werden seine Bürger und vor allem Jugendlichen weiter durch reformpolitisch unverantwortliches Nichtstun desillusioniert, wird man Europa immer mehr die Schuld daran geben. Der schließlich immer stärker aufkommende Wunsch nach nationalen Lösungen könnte Europa sogar in seiner politischen Konsistenz gefährden. In der Eurozone und der EU muss wieder politische und soziale Ruhe einkehren, damit die Briten von einem Brexit Abstand nehmen. Denn dieser wäre so etwas wie der erste Dominostein, der bei links- und rechtsradikalen Parteien in anderen EU- und Euro-Ländern unerwünschte Nachahmereffekte auslösen könnte.
In einem ersten Schritt wird daher als Gegenleistung für eine solidarische Lösung der Flüchtlingskrise die massive, im Extremfall sogar komplette Aufweichung von Haushaltsdisziplin verlangt und auch gewährt werden. Die Schuldenmanie der Eurozone zur Wachstumsförderung geht so nicht nur weiter, sie wird sogar auf eine neue Ebene gehoben. Deren Alimentierung übernimmt die EZB, die damit immer mehr auch eine politische Aufgabe erhält. Damit ist auch die Stimmungsstabilisierung angesichts der Zunahme der Terrorgefahr verbunden. Grundsätzlich wird mit mehr Verschuldung mehr Wirtschaftswachstum angestrebt.
Im vorauseilenden Gehorsam sorgt die Geldpolitik über die künstliche Drückung der Refinanzierungskosten weiterhin für einen Finanzminister freundlichen Zinsdienst auf die Staatsverschuldung: Von 2002 bis 2016 wird sich die Staatsverschuldung in der Eurozone zwar knapp verdoppelt, jedoch der Anteil der Zinszahlungen an den Staatsausgaben bei erwarteter Beibehaltung des aktuell günstigen Anleiherenditeniveaus von 6 auf 0,5 Prozent verringert haben. Dies wiederum erlaubt die Wiedererfüllung des Maastricht-Stabilitätskriteriums, wonach die jährliche Neuverschuldung unter drei Prozent der Wirtschaftsleistung bleiben soll. So wird die Stabilitätsunion künstlich geschaffen, obwohl sie tatsächlich keinen Puls mehr hat.
Vor diesem Hintergrund setzt die Euro-Wirtschaft ihre staatswirtschaftliche Konjunkturerholung fort. Unterstützt wird sie jedoch auch durch immer mehr privatwirtschaftliche Impulse, die sich auf einen schwachen, exportbegünstigenden Euro und grundsätzlich verhalten bleibende Rohstoffpreise gründen. Dieses Bild unterstreichen die aufgehellten Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe in der Eurozone.
Geldpolitik – Was Yellen vormacht, macht Draghi nicht nach
Die Fed hat den US-Notenbankzins zwar um 25 Basispunkte angehoben. Die beruhigende Verbalerotik von Fed-Chefin Yellen im Anschluss an ihre Zinserhöhungsentscheidung sowie die Leitzinsprojektion der Fed (1,375 Prozent Ende 2016, was eher die Maximalhöhe darstellt) signalisieren aber deutlich, dass es keine Zinserhöhungsrunde der Fed mit Schaum vor dem Mund wie zwischen 2004 und 2006 geben wird. Mit einem Anstieg von einem auf 5,25 Prozent hatte man damals nicht nur die ungeliebte Immobilienblase wie eine Fliege auf der Vase zerschlagen, sondern die US-, Schwellenländer- und Weltkonjunktur gleich mit. So betonte Yellen explizit, dass weitere Zinsschritte auch durchaus geringer als 25 Basispunkte ausfallen könnten und ohnehin grundsätzlich von zukünftigen Konjunkturdaten abhängig sind. Deren Zinserhöhungspotenzial ist jedoch gerade auch aus Inflationssicht rar gesät.
So ist der US-Arbeitsmarkt zwar quantitativ robust, auf qualitativer Ebene ist jedoch der Mangel einkommensstarker Jobs klar erkennbar. Im Übrigen geht die Fed selbst von einem weiterhin schwachen Inflationsdruck aus. Auch muss die US-Notenbank ihren Blick neben der US- auch auf die Weltkonjunktur, insbesondere die Schwellenländer richten. Diese nehmen bei zu massiven Zinserhöhungen Schaden, denn dann steigt die Kapitalflucht in das zinsattraktive Amerika bei zusätzlicher Perspektive einer Währungsaufwertung. Den Schwellenländern würde Investitionsgeld fehlen. Überhaupt steht ein starker US-Dollar historisch für schwache Rohstoffpreise, die den Rohstoffländer Kaufkraft nehmen.
Insgesamt hat Frau Yellen keinen Grund für eine zinspolitische Wurzelbehandlung. Im Übrigen gibt ihr der Präsidentschaftswahlkampf in den USA ein Alibi, zinspolitisch wahlkampfneutral, also ruhig zu bleiben. Das Wort US-Zinswende klingt insofern dramatischer als sie es in der Realität ist. Im Übrigen zeigt die Finanzhistorie, dass erste Zinserhöhungen auch der Beweis für eine zumindest stabile US-Konjunktur sind.
Asymmetrisch ist dagegen die Geldpolitik der EZB. Sie zeigt sich von den bisherigen Erfolgen ihres Anleiheaufkaufprogramms offensichtlich wenig überzeugt: Ein markanter konjunktureller Durchbruch und eine erfolgreiche Deflationsbekämpfung wird auch 2016 schwer zu erreichen sein. Daher bleibt sie ihrer geldpolitischen Dynamik treu. Mario Draghi hat wiederholt deutlich gemacht – auch mit Blick auf geopolitische und Terrorrisiken – dass die EZB allzeit bereit ist, eine weitere Ausweitung oder abermalige Verlängerung ihres Aufkaufprogramms vorzunehmen, wenn die Inflationsentwicklung weiter enttäuschen sollte.
Auch die Schwellenländer kommen nicht mehr an einer westlich orientierten, üppigen Geldpolitik vorbei, um erstens ihre angeschlagenen Volkswirtschaften über die zinsgünstige Refinanzierung von schuldenfinanzierten Konjunkturpaketen zu stützen und zweitens über unattraktive Staatsanleiherenditen auch ihre Währungen zum Wohle der Exportindustrie abzuschwächen. Die Rückkehr zu einer normalen Zinspolitik bleibt eine Illusion.
Anleihen – Die auf ewig verlorene Anlageklasse?
Zinsanlagen bleiben unattraktiv. Ob Staats-, Industrie- und Bankanleihen oder Jumbo Pfandbriefe, der Renditeverfall findet in allen Teilsegmenten kontinuierlich statt. Die geldpolitische Daueralimentierung der Finanzmärkte verursacht einen Anlagenotstand, der auch die letzten, noch verbliebenen Renditepotenziale abweidet. So wird die ohnehin schon größte Anlageblase aller Zeiten, die Anleiheblase, noch größer. Damit der Finanzwelt über ihr Platzen nicht der entscheidende Schlag versetzt wird, muss die internationale Geldpolitik ihre freizügige Zins- und Liquiditätspolitik fortsetzen, was wiederum die Renditen unter Druck hält.
Zwar sind US-Zinswenden in der Vergangenheit mit Anstiegen der Renditen von Staatsanleihen verbunden gewesen, insbesondere dann, wenn die Leitzinserhöhungen deutlich ausfielen. Das war beim Rentenschock 1994 der Fall. Doch ist in den USA die sanfteste aller Zinswenden zu erwarten. Ohnehin, sollten die Anleiherenditen und damit auch die Kredit- und Bauzinsen zu stark ansteigen, würde die Fed auch nicht vor einem dann vierten Quantitative Easing zum Wohle der Finanzmärkte zurückschrecken. Vom aktuellen Stand hält sich der Renditeanstieg bei US-Staatsanleihen somit in vergleichsweise engen Grenzen.
In der Eurozone treibt die EZB die Banken mit einer weiteren Senkung des Einlagenzinses auf minus 0,3 Prozent zu noch mehr Anleihekäufen an. Damit bezweckt sie, dass Anleiheinvestoren von kürzeren auf längere, renditeattraktivere Laufzeiten ausweichen und so auch deren Renditeanstieg begrenzen.
Währungen – Weltweiter Abwertungswettlauf gegenüber US-Dollar
Neben der primären Preisstabilität und sekundären Konjunkturstabilisierung hat die EZB noch ein drittes, wenn auch inoffizielles Ziel, nämlich die Abwertung der Gemeinschaftswährung zur exportseitigen Wettbewerbsverbesserung der Eurozone. Sicherlich spielt die Leitzinswende in den USA, von der die Eurozone sehr weit entfernt ist, der EZB in die Hände. Zur Effektverstärkung der Währungsabwertung zielt das verlängerte Anleiheaufkaufprogramm der EZB darauf ab, die Attraktivität von Staatsanleihen der Eurozone gegenüber konkurrierenden Papieren anderer Anlageregionen wie den USA noch weiter zu verringern. Denn ein wesentliches Argument für Wechselkursbewegungen sind Renditeunterschiede. Bereits aktuell bieten 10-jährige US-Staatsanleihen ca. 1,7 Prozentpunkte mehr Rendite als deutsche. Setzt die EZB über verstärkte renditedrückende Anleihekäufe den Renditenachteil der Eurozone noch weiter fort, ist eine weitere Abwertung der Gemeinschaftswährung in Richtung Parität zum US-Dollar, auf etwa 1,03 bis Jahresende, vorgezeichnet.
Auch in Japan setzt die Notenbank auf die konsequente Schwächung des Yen zur Stützung der Exportindustrie. In Verbindung mit der Zinswende der US-Notenbank sorgt das für eine weitere Abwertung des Yen gegenüber seinen Handelskonkurrenzwährungen.
Während die Dollar-Stärke für Japan, die Eurozone und die Schwellenländer positive exportseitige Auswirkungen hat, ist sie für die Schwellenländer, die zu großen Teilen in Dollar verschuldet sind, auch eine reale Gefahr. Sie müssen deutlich mehr für den Zins- und Tilgungsdienst ihrer mehrheitlich auf US-Dollar-Basis aufgenommenen Staats- und Unternehmensschulden aufwenden. So muss Brasilien über die Real-Abwertung allein in diesem Jahr etwa 32 Prozent mehr für die Bedienung seiner Dollar-Auslandsschulden als 2014 aufwenden. Allerdings ist die behutsame zinspolitische Wende der Fed geeignet, den bisherigen Leitzinserhöhungsangst geschuldeten Währungsaufwertungsdruck des Dollars gegenüber den Schwellenländern in Grenzen zu halten.
Rohstoffe – 2016 keine wirkliche Erholung
Bei Rohstoffen ist die „Neue Sachlichkeit“ angesagt. Die Dollar-Aufwertung wirkt preisdrückend auf Rohstoffe, da sich US-Dollar und Rohstoffpreise u.a. aus Absicherungsgründen entgegengesetzt entwickeln. Zudem hat die Rohstoffnachfrage der Schwellenländer als Preistreiber im Rahmen der aktuellen Wachstumsschwäche nachgegeben.
Die Perspektive, dass der Iran ab 2016 wieder an die Energiemärkte zurückkehrt und Saudi-Arabien diese neue Konkurrenz über hohe Förderquoten fernzuhalten versucht, ist ein nachhaltiger Belastungsfaktor für den Ölpreis. Und auch die USA wollen nach einem entsprechenden Kongressbeschluss zur Finanzierung des Staatshaushalts nach mehr als 40 Jahren wieder in der Rolle des Rohöl-Exporteurs auftreten. Für Entspannung sorgt jedoch die Einschätzung der OPEC, dass es zu einer Erholung der Nachfrage nach OPEC-Öl bei gleichzeitigem Angebotsrückgang außerhalb der OPEC kommt. Immerhin benötigen die von Energiepreis-Völlerei lange Zeit verwöhnten Ölländer deutlich höhere Rohölpreise, um einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu erreichen.
Für eine klare Erholung bei Rohöl spricht allerdings wenig. Ölkrisen mit massiv steigenden Energiepreisen wird es nicht mehr geben. Denn oberhalb der Marke von 60 US-Dollar pro Barrel Brent-Öl wird es wieder attraktiv, die alternative Fördermethode „Fracking“ zu betreiben. Preise jenseits der Marke von 100 US-Dollar pro Barrel werden damit auf absehbare Zeit der Vergangenheit angehören.
Da der Ölpreis so etwas wie der Rudelführer unter den Rohstoffpreisen ist, haben auch Industriemetalle nachgegeben. Das ist auch der Grund, warum sich Brasilien tief in der Rezession befindet. Alle Rohstoffländer sehen sich 2015 gegenüber 2012 einem Nachfrageausfall von annähernd zwei Billion US-Dollar ausgesetzt. Dieser Kaufkraftverlust macht natürlich auch vor Exportnationen nicht halt. Insgesamt braucht eine so gehandicapte Weltwirtschaft auch noch weniger Öl und Industriemetalle. Eine nachhaltige Trendwende bei Rohstoffen ist 2016 nicht zu erwarten.
US-Aktien – Es geht nicht um die Zinswende, sondern um ihr Ausmaß
Sehr entscheidend für US-Aktien ist die Marktpsychologie der US-Zinspolitik: Fed-Chefin Yellen wird nach der vollzogenen Zinswende die verbale Dauerberuhigung fortsetzen und glaubhaft deutlich machen, dass zukünftige Zinsrestriktionen homöopathisch ablaufen und somit die US-Wirtschaft nicht wirklich abbremsen. Ansonsten würde sich das Schadenspotenzial eines massiven Zinserhöhungsschocks ähnlich dem zwischen 2004 und 2006 fatal entfalten, als zunächst die umfangreichen Wertpapierkredite, danach die Aktien- und schließlich die realwirtschaftlichen Märkte einbrachen. Eine Stabilisierung der Wertpapierkredite signalisiert aber grundsätzliches Vertrauen in eine zukünftig barmherzige US-Zinspolitik.
Vor diesem Hintergrund besitzen neben substanz- und gewinnstarken Konsum- und Pharmawerten aus den Aktienindices Dow Jones Industrial Average oder S&P 500 auch der IT- und Social Media-Sektor sowie die Wachstumsbranchen High- und Biotech Potenzial, die sich auch 2016 einem positiven Fundamentalumfeld gegenüber sehen. Darüber hinaus dürften US-Aktien die Konjunkturversprechen im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl in der zweiten Jahreshälfte 2016 zugutekommen.
Euro-Aktien – Liquiditätshausse und Fundamentalismus
In puncto Anleihekäufen ist die EZB im Vergleich zu anderen Notenbanken noch ein Waisenkind. Während die Fed bislang ca. 44 Prozent der umlaufenden US-Staatsanleihen aufgekauft hat, liegt die EZB erst bei 15 Prozent.
Mit Blick auf ihre Aufkaufabsichten wird die EZB diesen Vorsprung zunehmend aufholen, auch um Deflationsgefahren zu bekämpfen und um konjunkturschädliche Renditeanstiege im Keim zu ersticken. Damit verlaufen die Geldpolitiken von Fed und EZB divergent: Während die US-Notenbank liquiditätspolitisch verharrt und eine – wenn auch nur leichte – Leitzinswende vollzieht, weitet die EZB ihre Ausstattung mit Zentralbankgeld weiter deutlich aus und denkt gar nicht an Leitzinserhöhungen. Die Aktienmärkte der Eurozone profitieren damit auch 2016 grundsätzlich weiter von einer Liquiditätshausse. Die renditedrückende Wirkung der Anleiheaufkäufe der EZB verhindert auch 2016 wettbewerbsfähige Anlagealternativen am Rentenmarkt. Gegenüber ihren Niedrigrenditen bieten Aktien aus Deutschland und der Eurozone Eigenkapitalrenditen von 11 bzw. 8 Prozent.
Die schwachen Alternativrenditen im Zinsvermögen dienen nicht zuletzt als geldpolitische Lebensversicherung für Aktien: Während nach den Zusammenbrüchen der Aktienmärkte 2001 bzw. 2008 deutsche Staatspapiere durchschnittlich mit Renditen zwischen vier und fünf Prozent ausgestattet waren, müssen sich Anleger heutzutage mit Renditen von weniger als 0,5 Prozent zufrieden geben. Dem gegenüber werden ab Jahresanfang Dividendentitel der Substanzbranchen Pharma, Chemie, Telekom und Versicherungen als Ersatzbefriedigung zu Zinsanlagen wieder attraktiv.
Hinzu kommen aber auch zunehmend fundamentale Faktoren. Neue schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme stützen das Wirtschaftswachstum grundsätzlich. Außerdem haben wir Nachholpotenzial wegen der Euro-Staatsschuldenkrise, wir haben im Gegensatz zu den USA keinen großen Rohstoffsektor, profitieren aber von den günstigen Öl- und Industriemetallpreisen. Diese machen sich in höheren Gewinnmargen der Unternehmen und steigender Kaufkraft der Konsumenten bemerkbar. Hinzu kommt der exportbegünstigende Euro.
Deutsche Aktien – Zykliker mit Potenzial
Insgesamt abklingende weltkonjunkturelle Wachstumsängste stützen 2016 das Industrielabel „Made in Germany“ und sorgen wieder für stabilere Umsatz- und Gewinnperspektiven von konjunktursensitiven und exportorientierten Aktien. Vor diesem Hintergrund haben Titel der zyklischen Branchen Elektro, Maschinenbau, Chemie und Automobile – auch die aus dem MDAX – Potenzial. Insgesamt dürfte der MDAX seine relative Stärke gegenüber dem DAX sogar behalten.
Es ist daher nicht erstaunlich, dass sich das Gewinnwachstum in Deutschland und Europa im internationalen Vergleich robust zeigt.
Emerging Markets – Asien 2016 wieder interessant
Fundamental bieten die Schwellenländer ein differenzierteres Bild. Setzt man die Leistungsbilanzqualität der Schwellenländer in Bezug zu ihrer Finanzstärke, gemessen als Quotient aus Auslandsreserven und kurzfristiger Auslandsverschuldung, sind vor allem die Länder für eine Austrocknung der Kapitalzuflüsse anfällig, die von Güterimporten wie Energie und ausländischem Kapital abhängig sind. Das gilt insbesondere für die Türkei, Südafrika, Brasilien und Indonesien.
Im Gegensatz dazu weisen Südkorea, China, Russland und mit Abstrichen Indien eine positive Leistungsbilanz aus, die sie in die Lage versetzt, ihre kurzfristige Verschuldung durch Währungsreserven zu decken. De facto zeigt sich ein für die Stabilität der Weltwirtschaft bedeutender Teil der Schwellenländer gegen Kapitalflucht grundsätzlich gut gewappnet und hebt sich deutlich von der „Peripherie“ ab.
Nicht zuletzt hat die Einschätzung der soften US-Leitzinswende zu einer Stabilisierung der Währungen der Schwellenländer gegenüber dem US-Dollar geführt.
Insgesamt haben sich die Konjunkturerwartungen in den asiatischen Schwellenländern bereits den zweiten Monat in Folge erholen können. Eine Wiederholung der Asienkrise von 1997/98 ist damit nicht zu erwarten. Nach der Korrektur 2015 werden Aktien aus den asiatischen Schwellenländern im nächsten Jahr wieder interessant.
Volatilität – Nicht als Feind, sondern als Freund des Anlegers betrachten
Die Volatilität an den Finanzmärkten wird angesichts nicht ausgestorbener Krisen zunehmen. Die steigenden Schwankungsbreiten schreien förmlich nach Aktienansparplänen. Und das am besten auf Aktienindices, um das Einzelwertrisiko zu mildern und am besten regelmäßig, um das Risiko größerer einmaliger Anlagen zu umgehen. Denn des Anlegers bester Freund ist der Durchschnittskosteneffekt. Bei monatlichem Ansparen erhält man als Anleger bei steigenden Kursen zwar weniger Aktienanteile, dafür nimmt man jedoch die Kurssteigerungen mit. Und wenn die Kurse zwischenzeitlich fallen, erhält man bei gleichbleibendem Ansparplan mehr Aktienanteile. Bei wieder steigenden Kursen macht sich das kaufmännische Motto „Im Einkauf liegt der Gewinn“ positiv bemerkbar.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128
Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de