Für wirkliche Ernüchterung an den Aktienmärkten besteht kein Anlass
China bleibt die tragische Figur der Weltkonjunktur. Die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe liegt laut offiziellem Einkaufsmanagerindex weiter – wenn auch nur knapp – unter der Expansion anzeigenden Schwelle von 50. Der früher so robuste Export hat deutlich an Kraft eingebüßt und bewegt sich seit 2012 nur noch in einem volatilen Seitwärtstrend. Daneben zeugen auch die im Trend schwachen Importe von einem gehemmten Binnenmarkt. Und dabei will Peking ausgerechnet den Konsum als langfristigen Wachstumsmotor etablieren.
Insbesondere die Kurseinbrüche am chinesischen Aktienmarkt im August und September haben die Vermögenssituation der Chinesen auch deshalb geschwächt, da der Börsenboom vielfach auf Privatkrediten basierte. In der Folge ließ die Konsumstimmung nach. Immerhin gelingt der KP mit planwirtschaftlichen Mitteln die Stabilisierung des Aktienleitindex Shanghai Composite. Einem fortgesetzten Aktieneinbruch mit weiterer Eintrübung der Konsumstimmung wird insofern vorgebeugt.
Notgedrungen ist China mittlerweile in der nüchternen Realität der westlichen Finanzwelt angekommen. Für sein früher noch verächtliches Herabschauen auf die künstliche geldpolitische Befruchtung von Fed und EZB gibt es heutzutage keinen Grund mehr. Im Gegenteil, China wird gemäß neuestem Fünf-Jahres-Plan einen umfangreichen Doppelschlag aus staatlichen Konjunkturmaßnahmen mit geldpolitischer Alimentierung in Gang setzten.
Die großen Finanzanleger glauben offenbar an den Erfolg dieser „westlichen“ Rettungsmaßnahmen mit positiver Ausstrahlung auf die asiatischen Anrainerstaaten: Die Konjunkturerwartungen Asiens für die nächsten sechs Monate fallen laut Finanzdatenanbieter Sentix wieder freundlicher aus. Ein nachhaltiger Asien-Schock für die westlichen Export- und Aktienmärkte bleibt daher aus.
Insbesondere haben sich die Konjunkturerwartungen für die Eurozone und Deutschland aufgehellt. Die fallenden Rohstoffpreise beflügeln über Margenerhöhungen der Unternehmen bzw. Kaufkraftverbesserungen der Konsumenten die wirtschaftliche Stimmung markant. Allerdings macht sich der bedeutende Anteil des Energiesektors an der Wirtschaftsleistung in etwas verhalteneren Erwartungen für die US-Konjunktur bemerkbar.
Endlich lässt Janet Yellen die Zins-Katze aus dem Sack
Am 16. Dezember wird die Fed die Leitzinswende vollziehen. Damit schafft sie endlich klare Fakten. Den Finanzmärkten dürfte ein Stein vom Herzen fallen, da die Fed sie seit Amtsantritt von Janet Yellen mit langatmiger zinserhöhungspolitischer Verbalerotik irritiert hat. Nach tatsächlichem Vollzug ist die Fed wieder handlungsfähig und baut verloren gegengenes Vertrauen wieder auf.
Entspannend auf die Finanzmärkte dürfte ebenso die „nette Verpackung“ wirken, mit der die Leitzinserhöhung präsentiert wird. Sie wird nicht der Anfang einer langen Kette von Zinsrestriktionen sein. Der kommende Zinserhöhungszyklus wird der zahmste aller Fed-Zeiten sein. Dafür sprechen nicht nur die im historischen Vergleich verhaltene und inflationsarme nationale und Weltkonjunktur, die ansonsten große Gefahr einer investitionsfeindlichen Kapitalflucht aus Asien nach Amerika und die weltweit überbordende Staatsverschuldung.
Die Fed hat auch die Finanzrisiken auf dem US-Energiesektor im Blick. Der schwache Ölpreis macht sich bei Unternehmensanleihen aus dem High Yield-Bereich des US-Energiesektors bereits in deutlichen Kursverlusten bemerkbar.
Da die typischerweise kapitalintensiven US-Öl- und Gas-Fracking-Unternehmen ab 2016 verstärkten Finanzbedarf haben – auch da Öl-Absicherungsgeschäfte über die Terminmärkte auslaufen – würden massiv steigende Refinanzierungskosten eine Pleitewelle auslösen, die auch dem US-Bankensektor zusetzten und schließlich einen Verunsicherungsschock in der US-Konjunktur verursachten. Im Extremfall könnten negative Effekte auf die insgesamt markant überbewerteten, korrekturanfälligen Anleihemärkte streuen und die wirtschaftlichen Restriktionen potenzieren.
Insofern muss die US-Notenbank mit ihrer sanften Zinspolitik die Schutzpatronin der US-Wirtschaft bleiben. Sollte es dennoch zu Friktionen im Energiesektor kommen, wird die Fed auch nicht vor einem dann vierten Quantitative Easing auch zum Wohle der Fracking-Industrie zurückschrecken.
Aktuelle Marktlage: Billigste Liquidität bleibt wichtigstes Aktienargument
Die Liquiditätsschwemme in der Eurozone ist offensichtlich noch umfangreicher als erwartet. Dabei treten neben der EZB auch die nationalen Notenbanken vor allem aus Italien und Frankreich als aktive Anleihekäufer auf. Im Rahmen eines vertraulichen und hochgradig undurchsichtigen Abkommens mit der EZB – das sogenannte Anfa-Abkommen (Agreement on net-financial assets) – haben sie zwischen 2006 und 2014 Anleihen auch des eigenen Staates im Volumen von insgesamt 720 Mrd. Euro aufgekauft. Diese als „Eigenanlagen“ der Notenbanken deklarierten Zukäufe sind nichts anderes als verdeckte Staatsfinanzierung. Offensichtlich will ein intransparentes Eurosystem, bestehend aus den nationalen Zentralbanken, die Volkswirtschaften der Eurozone mit der Finanzierung staatlicher Konjunkturpakete breit stützen. Die Angst vor deflationärer Stagnation ist offenbar groß. Die germanische Stabilitätsunion ist mittlerweile komplett ausgehöhlt. Sie hat sich längst in eine romanische Schuldenunion verwandelt.
M&A ist wieder ein Marktfaktor
Eine Folge des international vielen und billigen Zentralbankgeldes ist die imposante Wiederbelebung weltweiter Übernahmephantasien. Sie befinden sich auf bestem Weg, erneut das M&A-Niveau aus der Zeit der Immobilieneuphorie zu erreichen.
Typischerweise sind Übernahmephantasien eine markante Stütze für Aktienmärkte. Angesichts der geldpolitischen Visionen wird sich dieser Effekt auch 2016 zeigen. Grundsätzlich erleichtern weiter steigende Aktienmärkte Übernahmen durch Bezahlung in eigenen Aktien, so dass die Aktienhausse die M&A-Hausse und diese wiederum weiter die Aktienhausse nährt.
Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50: Sand im Rallye-Getriebe
Charttechnisch trifft der DAX bei 10.564 sowie 10.508 Punkten auf erste Unterstützungen. Darunter wartet eine nächste nennenswerte Haltelinie bei 10.383 und schließlich bei 10.250 Punkten. Auf dem Weg nach oben wartet die erste Barriere bei 10.585 Punkten. Weitere Widerstände folgen schließlich bei 10.815 und 10.980 Punkten, bevor der DAX Kurs auf die 200 Tage-Linie bei aktuell 11.074 nimmt.
Im Euro Stoxx 50 liegt die nächste Auffangzone zwischen 3.200 und 3.160 Punkten. Im Falle einer Erholung muss der Index zunächst den Widerstandsbereich zwischen 3.290und 3.325 Punkten überwinden. Darüber liegt eine Barriere bei 3.385 Punkten. Wird diese deutlich überwunden, ist der Weg bis zur Marke bei 3.473 und danach dem mittelfristigen Abwärtstrend bei zurzeit 3.545 Punkten frei.
Der Wochenausblick für KW 51: Alle Augen auf die Fed und ifo
In Japan deutet der Tankan Index für die japanische Großindustrie zumindest auf keine weitere Verschlechterung der Konjunktursituation hin.
In den USA zeigt sich die Konjunkturstimmung gemäß Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed wieder etwas stabiler. Das gilt auch für den Immobiliensektor: Baubeginne und -genehmigungen setzten im November ihren volatilen Seitwärtstrend fort. Die Inflationsdaten bewegen sich zwar weiterhin nahe an der Deflationsgrenze. Aus Gründen der zinspolitischen Glaubwürdigkeit wird die US-Notenbank dennoch die Zinswende in Höhe von 25 Basispunkten durchführen.
In der Eurozone liegen die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe erneut deutlich über der Expansion anzeigende Schwelle und signalisieren eine allmähliche Fortsetzung der zyklischen Konjunkturerholung. Dennoch bestätigen die schwachen Inflationsdaten die freizügige Geldpolitik der EZB. In Deutschland dürften die ifo Geschäftsklimadaten sowie die ZEW Konjunkturerwartungen ihren Aufwärtstrend weiter fortsetzen.
Ist die US-Zinswende vollzogen und wurde den Finanzmärkten von der Fed die entsprechende Beruhigungsrhetorik verabreicht, wird sich die unterbrochene Jahresend-Rallye fortsetzen und der DAX wieder Anlauf auf die Marke von 11.000 Punkten nehmen.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128
Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de