Fluctuat Net Mergitur: Die Finanzmärkte zeigen den Terroristen die rote Karte
Der Terror verursacht an den Finanzmärkten nicht mehr die Panik, die noch nach 9/11 zu beobachten war. Sie haben sich ein deutlich dickeres Fell zugelegt: Kursrückgänge sind sehr begrenzt bzw. finden nicht statt. Der safe haven US-Dollar stieg zwar, wobei diese Aufwertung jedoch schon vorher zu beobachten war. Und selbst der früher noch sehr krisensensible Ölpreis zeigt sich kaum beeindruckt. Die Kapitalmärkte orientieren sich trotzig am lateinischen Wappenmotto der Stadt Paris, nämlich Fluctuat Net Mergitur: Sie (Paris) schwankt, geht aber nicht unter.
Geldpolitische und fundamentale Argumente bleiben die bestimmenden Markteinflussfaktoren.
US-Leitzinswende? Wenn ja, dann nur mit anschließender Beruhigung
In den USA kommt es zum zinspolitischen Showdown. Nach dem langatmigen Verwirrspiel „Ich erhöhe die Zinsen, ich erhöhe sie nicht“ muss Fed-Präsidentin Yellen auf der nächsten Notenbanksitzung endlich Farbe bekennen. Auch wenn es aus konjunktureller bzw. Inflationssicht kaum einen Anlass für eine Zinserhöhung gibt, wird sie aus Glaubwürdigkeitsgründen wohl dennoch im Dezember vollzogen. Schließlich spricht Frau Yellen seit ihrem Amtsantritt von Zinsrestriktion. Entscheidend ist aber nicht die eigentliche Zinswende, sondern die anschließende verbale Beruhigung: Sie muss deutlich machen, dass zukünftige Zinsrestriktionen homöopathisch ablaufen. Ansonsten würde sich das Schadenspotenzial eines massiven Zinserhöhungsschocks ähnlich dem zwischen 2004 und 2006 fatal wiederholen. Zunächst würden die umfangreichen Wertpapierkredite, danach die Aktien- und schließlich die realwirtschaftlichen Märkte einbrechen.
Die Liquiditätshausse spielt vor allem in der Eurozone eine Hauptrolle
In puncto Anleihekäufen ist die EZB im Vergleich zu anderen Notenbanken noch ein Waisenkind. Es ist jedoch zu erwarten, dass sie diesen Rückstand aufholen wird. Denn auf der Zinssitzung am 3. Dezember wird Mario Draghi – die Vorankündigungen sind mehr als deutlich – nachlegen, um Deflationsgefahren zu bekämpfen und um konjunkturschädliche Renditeanstiege im Keim zu ersticken. Damit verlaufen die Geldpolitiken von Fed und EZB divergent. Während die US-Notenbank liquiditätspolitisch verharrt, weitet die EZB ihre Ausstattung mit Zentralbankgeld weiter aus. Liquiditätsseitig spricht dies für eine Outperformance von Aktien der Eurozone gegenüber Titeln aus den USA. Denn der historische Vergleich zeigt, dass Aktien jener Anlageregion Outperformance zeigen, deren Notenbank am großzügigsten Liquiditätsversorgung betreibt. So zeigten US-Aktien zwischen 2009 und 2014 eine klare relative Stärke gegenüber ihren Konkurrenten aus der Eurozone.
Euro – Richtung Parität zum US-Dollar
Neben der primären Preisstabilität und sekundären Konjunkturstabilisierung hat die EZB noch ein drittes, wenn auch inoffizielles Ziel, nämlich die Abwertung der Gemeinschaftswährung zur exportseitigen Wettbewerbsverbesserung der Eurozone. Zu diesem Zweck ist die Leitzinswende in den USA, von der die Eurozone sehr weit entfernt ist, ein erster Schritt. Zur Effektverstärkung der Währungsabwertung zielt das zukünftig noch ausgedehntere Anleiheaufkaufprogramm der EZB darauf ab, die Attraktivität von Staatsanleihen der Eurozone gegenüber konkurrierenden Papieren anderer Anlageregionen noch weiter zu verringern. Denn ein wesentliches Argument für Wechselkursbewegungen sind Renditeunterschiede. Bereits aktuell bieten 10-jährige US-Staatsanleihen über 1,5 Prozentpunkte mehr Rendite als deutsche. Setzt die EZB über verstärkte renditedrückende Anleihekäufe den Renditenachteil der Eurozone fort, ist eine weitere Abwertung der Gemeinschaftswährung vorgezeichnet. Die EZB scheint die Parität zum US-Dollar anzustreben.
China – Ohne Planwirtschaft wäre die Marktwirtschaft am Ende
Im Moment erlebt die chinesische Marktwirtschaft schwere Stunden. Doch wird China im Rahmen seines neuen Fünf-Jahres-Plans ein ganzes Feuerwerk an künstlichen konjunktur- und geldpolitischen Maßnahmen abbrennen, die auch seinen Anrainerstaaten zugutekommen. Das hat zwar mit Marktwirtschaft nichts mehr zu tun, doch wird sich sicherlich keine westliche Exportnation darüber beschweren. Diese planwirtschaftliche Rettungsmission der Marktwirtschaft zeigt immerhin Wirkung. Die Marke von 3.000 Punkten im Shanghai Composite-Aktienindex erweist sich als sehr robuste Unterstützung. Damit sind Risiken, dass ein ungebremster Aktiencrash über die damit verbundene Liquiditätspräferenz auch die Kredit- und Immobilienblase platzen lassen könnte, deutlich in den Hintergrund getreten. Insgesamt haben sich die Konjunkturerwartungen in den asiatischen Schwellenländern bereits den zweiten Monat in Folge erholen können. Eine Wiederholung der Asienkrise von 1997/98 ist damit nicht zu erwarten. Daher werden 2016 Aktien aus den asiatischen Schwellenländern wieder interessant.
Aktien oder Renten? Zinsanlagen haben deutlich an Konkurrenzfähigkeit verloren
Um die Finanzierbarkeit der überschuldeten Länder u.a. in der Eurozone zu gewährleisten, werden die Notenbanken markante Renditeanstiege im bestehenden Finanzsystem nicht mehr zulassen (können). Daher werden Anleger auf eine Attraktivitätssteigerung von Zinsanlagen in der Zukunft vergebens warten. Der Bewertungsvergleich gemäß Kurs-Gewinn-Verhältnis spricht eindeutig für Aktien. Der DAX ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 13 absolut zwar nicht günstig bewertet, doch wenn Staatsanleihen auf Basis der deutschen Umlaufrendite mit einem Wert von ca. 300 aufwarten, erkennt man zügig die wirklich völlig überbewertete Anlageklasse. Die schwachen Alternativrenditen im Zinsvermögen dienen nicht zuletzt als geldpolitische Risikolebensversicherung für Aktien: Während nach den Zusammenbrüchen der Aktienmärkte 2001 bzw. 2008 deutsche Staatspapiere durchschnittlich mit Renditen zwischen vier und fünf Prozent ausgestattet waren, müssten sich Anleger heute mit Renditen von weniger als 0,5 Prozent zufrieden geben.
Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung – Fundamentale Aufhellung
Einerseits werden die Stimmen bei der Fed pro Zinswende im Dezember aus Glaubwürdigkeitsgründen zwar konkreter. Andererseits wird die US-Notenbank aber niemals mit einer scharfen Zinserhöhungsrunde riskieren, die Mutter aller Anlageblasen, die Anleiheblase, zum Platzen zu bringen, die über freizügige Geldpolitik vor allem der USA seit über 30 Jahren aufgeblasen wird. Denn platzte diese, ist die gesamte Finanzwelt ruiniert. Daneben hat die Fed Angst vor einem zinserhöhungsbedingt zu starken US-Dollar, der die eigenen Exportchancen schmälerte und zu einer Kapitalflucht aus den Schwellenländern führte. Grundsätzlich bestünde auch die Möglichkeit, den glaubwürdigkeitsbedingten „Zinserhöhungsschmerz“ durch ein weiteres Programm für US-Staatsanleihekäufe zur Begrenzung ansteigender Renditen zu lindern. Insgesamt werden die Aktienmärkte auch durch die Geldpolitik der Fed weiter gestützt.
Konjunkturell positiv für die Aktienmärkte macht sich auch bemerkbar, dass die Befürchtungen einer schweren asiatischen Wirtschaftskrise mit Streueffekten auf Exportnationen abklingen. Vor diesem Hintergrund haben sich auch die Erwartungen für die deutsche Wirtschaft gemäß den typischerweise kritischen Analysten im Rahmen der ZEW-Befragung im November wieder aufgehellt.
Grundsätzlich haben deutsche und europäische Aktien die vergleichsweise besten Kurschancen. Europa profitiert von Nachholeffekten aufgrund der Euro-Krise, einer, wenn auch künstlich wiederbelebten Weltkonjunktur, der EZB, niedrigen Rohstoffpreisen, die die Gewinnmargen der Unternehmen und die Kaufkraft der Konsumenten erhöhen und natürlich von der Euro-Schwäche.
Vor diesem Hintergrund sind in Deutschland vor allem Industriewerte aussichtsreich, die von einer Beschleunigung der Weltwirtschaft profitieren und damit auch Titel aus dem MDAX. Zum Jahresanfang sind auch wieder Dividendentitel als Ersatzbefriedigung zu Zinsanlagen interessant.
Nicht zuletzt ist auch keine Finanzkrise mehr in Griechenland zu erwarten. Denn dem Land kommt in der Flüchtlingskrise eine entscheidende Rolle zu. Ministerpräsident Tsipras wird diese Machtposition dazu nutzen, Reformen eher nicht zu machen. Hilfsgelder wurden dennoch bereits diese Woche gewährt und werden auch zukünftig gewährt werden. So schnell ändern sich die finanzwirtschaftlichen Realitäten innerhalb Halbjahresfrist.
Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 – Die Großwetterlage bleibt positiv
Charttechnisch setzt der DAX seine Rallye bei Überwindung des seit April bestehenden Abwärtstrends bei aktuell 11.109 Punkten fort. Darüber wartet die Widerstandszone zwischen 11.153 und 11.278. Bei einer erneuten Korrektur erhält er im Bereich um die 10.800 Punkte Unterstützung, bevor er Kurs auf die Marke bei 10.616 nimmt. Die nächste nennenswerte Unterstützung liegt schließlich in der Kurslücke zwischen 10.587 und 10.508 Punkten. Darunter liegt der starke Auffangbereich um 10.200 Punkte. Wird diese Marke durchbrochen, ist ein Fall bis zur psychologisch wichtigen Marke bei 10.000 einzukalkulieren.
Der Euro Stoxx 50 trifft auf dem Weg nach oben bei 3.473 und am mittelfristigen Abwärtstrend bei zurzeit 3.670 Punkten auf erste Widerstände. Auf der Unterseite liegt eine erste Unterstützung bei 3.385 und darunter bei 3.325 Punkten. Schließlich geben weitere Auffanglinien bei 3.290 und 3.200 Punkten Halt.
Der Wochenausblick für die KW 48 – Deutsche Konjunkturdaten im Mittelpunkt
In China dämpft eine im Oktober verbesserte Gewinnentwicklung der Industrieunternehmen die Konjunktursorgen. In den USA signalisieren sich erholende Auftragseingänge langlebiger Güter eine Stabilisierung der US-Industrie. In Kombination mit erneut steigenden Konsumentenausgaben und einem wieder freundlicheren Konsumentenvertrauen der Universität von Michigan dürfte die Fed die Daten in Richtung Zinserhöhung im Dezember interpretieren.
In der Eurozone deuten schwächere Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe auf schwierigeres Konjunkturterrain hin. Das wird die EZB in ihren liquiditätspolitischen Lockerungsbestrebungen bestärken. Die für Anleger interessanteste Frage wird nächste Woche sein, ob sich die Konjunkturerwartungen gemäß ifo weiter festigen konnten und ob sich der im Oktober nachgebende GfK Konsumklimaindex wieder fangen konnte.
Insgesamt hat der DAX gute Chance, die Marke von 11.000 Punkten erfolgreich zu verteidigen.
Ein Beitrag von Robert Halver.
Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128
Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de