Am chinesischen (Geld-)Wesen soll die (Welt-)Konjunktur genesen

Im III. Quartal ist China so langsam wie seit sechs Jahren nicht mehr gewachsen. Das Wachstum ist auf 6,9 Prozent zurückgegangen. Während der erste Satz stimmt, muss beim zweiten unterstellt werden, dass Pinocchio mit im Spiel war.

6,9 Prozent? Wer es glaubt, wird selig. Man möge mir finanztechnisch doch bitte einmal erläutern, womit dieses im Ländervergleich immer noch großartige Wachstum erreicht werden konnte. Denn die Exporte dümpeln. Außerdem stehlen mittlerweile günstigere Staaten in Südostasien dem alten chinesischen Geschäftsmodell „Werkbank der Welt“ schon längst die Schau. Auf die prekäre Immobiliensituation passt mittlerweile das Attribut „Einstürzende Neubauten“. Und die Unternehmen haben dramatisch fehlinvestiert und sind auch noch bis Oberkante Unterlippe, konkret mit gut dem Anderthalbfachen der chinesischen Wirtschaftsleistung verschuldet. Wäre das Statistische Bundesamt in Wiesbaden für die Konjunkturmessung zuständig, hätte China vermutlich überhaupt kein vernünftiges Wachstum mehr. Es ist eindeutig: In China ist mehr als ein Sack Reis umgefallen.

Im Land der Mitte macht sich wirtschaftliche Angst breit. Auf Teufel komm raus will die KP in Peking dem Schicksal Japans entgehen, dass sich nach dem Platzen der Immobilienblase und dem Einbruch der Exporte zu Beginn der 90er-Jahre noch bis heute in der Rezession befindet. Was Japan damals an volkswirtschaftlicher Ersatzbefriedigung noch fehlte, will die KP heute mit Schmackes schaffen: Ein starker Konsum soll den nachhaltigen Konjunkturaufschwungs bewerkstelligen.

U.a. wollte man die chinesische Konsumlaune mit einem Effekt beleben, der schon beim „Klassenfeind“ USA in den letzten Jahrzehnten immer wieder für klingende Kassen gesorgt hatte: Der Vermögenseffekt gemäß dem Motto „Wer sich vermögender fühlt, gibt auch mehr Geld aus“.

Die Chinesen haben mehr Schulden und weniger Vermögen

Die Erquickung der Vermögensbildung sollte ausgerechnet von der kapitalistischen Aktie ausgehen. Der Aktienbesitz wurde geradezu als patriotische Pflicht eines jeden Chinesen deklariert. Mit dieser Aktion dachte man aber nicht nur an das Wohl der Chinesen, sondern auch an die Finanznöte der Unternehmen. Deren dramatische Überschuldung wurde über Börsengänge bzw. Kapitalerhöhungen einfach an Frau und Mann Kleinanleger wie eine heiße Kartoffel weitergereicht. Aber es kam noch einmal eine ordentliche Portion Verschuldung hinzu. Denn viele Chinesen kauften Aktien auf Pump.

Tatsächlich kam es zu einer ähnlich prachtvollen Aktienhausse wie am Neuen Markt, nur schneller. Schneller kam aber leider auch das böse Erwachen: Eine schwächelnde chinesische Konjunktur, schwache Unternehmensgewinne und eine Kapitalfluch ausländischer Anleger der Marke „Rette sich wer kann“ ließen die Aktienhausse zusammenfallen wie ein Kartenhaus.

Damit gilt insgesamt auch für den Otto Normal-Chinesen: Wer über sehr viel weniger Vermögen, dafür aber über deutlich mehr Schulden verfügt, wird sich sicherlich nicht mehr so ungehemmt in den Konsumtempeln verausgaben wie bisher. Würde jetzt auch noch die Binnennachfrage wie ein Sack Reis umfallen, könnten rezessive Tendenzen Ruck Zuck auch soziale und politische Krisen in China nach sich ziehen. Das kann die KP gebrauchen wie Bauchschmerzen.

Und neben der nationalen gibt es da ja auch noch die internationale Dimension des Problems: Bekommt China einen wirtschaftlichen Schnupfen, haben die Emerging Markets und ebenso die Rohstoffförderländer schnell eine Grippe und Exportnationen wie Deutschland mindestens einen grippalen Effekt.

Der weltkonjunkturelle Zweck heiligt jedes chinesische Mittel

Hat China vor diesem drohenden Szenario nicht so etwas wie die heilige Pflicht, alles, wirklich alles zu tun, um nicht nur seiner eigenen Konjunktur, sondern auch noch der Weltkonjunktur unter die Arme zu greifen? Wer in den Exportnationen wollte diese Frage verneinen.

Also ran an die Buletten oder eher an die Reistöpfe! In China werden jetzt die ganz schweren Geräte aus dem finanz- und geldpolitischen Werkzeugkasten geholt. Zur konsequenten Gefahrenabwehr an den Finanzmärkten und zur Vermeidung schwerer wirtschafts- und sozialpolitischer Schäden wird die People’s Bank of China neben weiteren Senkungen von Leitzinsen und Mindestreservesätzen ebenso notleidende Unternehmenskredite sowie indirekt über staatliche Pensionsfonds massenhaft Aktien aufkaufen. Immerhin, der Aktienmarkt hat das Schlimmste überstanden. Bei etwa 3.000 Punkten hat der chinesische Leitindex Shanghai Composite eine Unterstützung, die mühelos an die Qualitäten der Chinesischen Mauer heranreicht.

Stabilitätspolitische Entzugsklinik? Nein, wer Sorgen hat, hat auch Likör!

Die neue Geldpolitik in China mag stabilitätspolitisch zunächst süß-sauer aufstoßen. Aber wenn China mit Ehrgeiz an der Stützung seiner Konjunktur und seines Finanzsystems und damit am Seelenfrieden der Weltkonjunktur arbeitet, schaut man auch im Westen gerne über viele Unzulänglichkeiten hinweg. Jeder ist sich doch selbst der Nächste. Überhaupt, wie kann man sich über geldpolitische Sünden in China beschweren, wenn Fed, EZB oder Bank of Japan Ursünden am laufenden Band produzieren. Heutzutage hat sich der Begriff der Stabilität komplett gewandelt: Es geht nur noch um die Stabilität des Finanzsystems. In der Not frisst auch in China der Teufel Fliegen.

In China steht der mittlerweile 13. Fünfjahresplan für 2016 bis 2020 an. Die KP wird ein Feuerwerk an Konjunkturprogrammen und finanzwirtschaftlichen Stützungsaktionen abbrennen. Das wird die ganz große, prall gefüllte Wirtschafts-Wundertüte, ja eine neue chinesische Revolution werden. Unternehmen, der Dienstleistungssektor und der Konsum werden so richtig auf Kurs gebracht.

Das kostet ordentlich Geld. Wie in der Kneipe wird der Deckel richtig voll werden. Aber kein Problem: Die chinesische Notenbank sorgt für Freibier für alle.
So wird China als Konjunktur-Casanova nicht kastriert. Seine weltkonjunkturelle Bedeutung bleibt groß.

Die Aktienmärkte u.a. in Deutschland wird es erfreuen: Chinas Liquidität und zukünftige fundamentale Potenz sind nicht zuletzt eine wichtige Zutat für die Jahresend-Rallye.

RobertHalverEin Beitrag von Robert Halver.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Das Haus mit Sitz in Unterschleißheim bei München ist eine der führenden Investmentbanken in Deutschland und Marktführer im Handel von Finanzinstrumenten. Halver beschäftigt sich seit 1990 mit Wertpapieren und Anlagestrategien.

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Bildquelle: Baader Bank / meineprivatenfinanzen.de